"Das ist kein ethnisches Problem"

■ Interview mit dem Streetworker Detlef K. vom Verein Gangway e.V. in Kreuzberg / Er hat Kontakt zu den Jugendlichen, die am Samstag an der blutigen Schlägerei beteiligt waren, bei der ein Thailänder...

In der Nacht zum vergangenen Samstag kam es in der Kreuzberger Fürbringerstraße zwischen Jugendlichen und Gästen einer Geburtstagsparty zu einer blutigen Schlägerei. Nach Angaben der Polizei und der Familie B. haben die Jugendlichen mit Baseballschlägern, Messern und einer Eisenstange auf die Partygäste eingedroschen. Traurige Bilanz: ein Toter und sechs Schwerverletzte. Die Polizei hatte noch in der Nacht vier mutmaßliche Täter festgenommen. Die Jugendlichen bestritten jedoch die Tat und wurden wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach Angaben der Polizei gibt es noch keinen Tatverdächtigen. Die Mordkommission ermittelt wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge.

taz: Wie konnte es zu einer so brutalen Auseinandersetzung kommen?

Detlef K.: Zu dieser Schlägerei muß es mehr oder weniger spontan gekommen sein, wobei wohl beide Seiten – also auch die Partygäste – bewaffnet waren. Auch die Behauptung, es sei eine Jugendgang von dreißig Mann gewesen, die geplant habe, die Geburtstagsparty aufzumischen, ist völlig absurd. Die meisten der Jungs wohnen in der Fürbringerstraße. Das heißt, sie kennen die Familie, die die Party gefeiert hat, und umgekehrt. Ich habe gehört, es waren sechs bis zehn Jungs, die sich dort auf der Straße getroffen haben.

Was sagen denn die Jugendlichen dazu?

Dazu möchte ich, solange die Ermittlungen der Polizei nicht abgeschlossen sind, nichts sagen.

Warum?

Wir machen Lobbyarbeit. Unsere Aufgabe ist es, auf der Seite der Jugendlichen zu stehen, sie zu schützen und ihre Probleme ernst zu nehmen. Das, was sie selbst so nicht artikulieren können, tragen wir nach außen. Wenn die Jugendlichen das wollen, können wir als Vermittler auftreten, aber grundsätzlich machen wir das nicht. Wir versuchen mit den Jugendlichen zu reden, Vertrauen zu schaffen. Natürlich problematisieren wir solche Gewaltexzesse und versuchen Lösungen zu finden. Aber wir zwingen die Jugendlichen zu nichts.

Die Polizei vermutet, daß Jugendliche der türkischen Straßengang „36 Boys“ an der Schlägerei beteiligt waren. Was wissen Sie darüber?

Die „36 Boys“ gibt es schon lange nicht mehr. Solche großen Gangs, die mit dreißig oder vierzig Mann durch den Kiez ziehen und irgendwelche Leute aufmischen, gibt es in dieser Stadt überhaupt nicht mehr. Das bestätigen auch KollegenInnen, die in anderen Bezirken arbeiten.

Manche meinen ja immer noch, türkische oder andere ausländische Jugendliche seien gewaltbereiter als deutsche. Was antworten Sie darauf?

Das ist Quatsch. Ich arbeite nun seit über zehn Jahren in Kreuzberg als Straßensozialarbeiter und seit 17 Jahren mit ausländischen und deutschen Jugendlichen. Was die Gewaltbereitschaft angeht, gibt es zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen keine besonderen Unterschiede.

Außerdem: Viele dieser Jugendlichen mögen ja aussehen wie Türken oder Araber, aber es hat keiner nachgefragt, ob sie nicht möglicherweise die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Gewalt ist hier kein ethnisches, sondern ein soziales Problem.

Fühlen sich diese jungen Leute ausgegrenzt?

Ja. Und wir versuchen, ihnen so weit Hilfestellungen zu geben, daß sie irgendwann ihr Leben auch allein auf die Reihe kriegen. Ihnen passiert es natürlich auch immer wieder, daß sie bei Behörden, der Ausländerpolizei, dem Sozialamt oder auch in der Schule auf Schwierigkeiten stoßen. Die meisten wollen ein ganz normales Leben führen. Sie wollen im Prinzip nur einen Job, heiraten und Kinder kriegen. Doch anscheinend ist es so, daß man mit schwarzen Haaren und einem nicht ganz so guten Schulabschluß kaum eine Lehrstelle bekommt. Wir haben die schwierige Aufgabe übernommen, sie zu motivieren. Ihnen zu raten, nach 100 Absagen noch mal 100 Bewerbungen loszuschicken. Interview: Michaela Eck