Überlebenskünstlerinnen

■ In den USA, in Peru, im Tschad oder in Kasachstan schließen sich Kunstproduzentinnen zusammen / In Nürnberg knüpften sie ein weltweites Netz

Mit einem bewegenden Appell schließt Omope Carter Daboiku vom „Women of Color Quilters' Network“ ihren Bericht: „Ich stehe vor euch als ein Beispiel, was Schwesterlichkeit bewirken kann. Ich glaube an meinen eigenen Wert. In euren Projekten schafft ihr das gleiche Wunder. Welche Hindernisse sich euch auch in den Weg stellen: hört nicht auf!“ Sie und die anderen schwarzen Frauen des US-amerikanischen Netzwerkes haben es geschafft, daß ihre Quilts, ihre bunten Decken, begehrte Kunstobjekte geworden sind, für die Privatsammler und Museen viele tausend Dollar zahlen.

Ein amerikanischer Traum? Angefangen hat es für Omope mit einem Alptraum. Ihr Mann kam ins Gefängnis. Von einem Tag auf den anderen stand sie mit ihrem kleinen Kind, das zweite erwartend, ohne jedes Einkommen da. Überlebt hat sie, sowohl materiell wie psychisch, weil sie sich auf die kreativen Fähigkeiten und handwerklichen Traditionen, die Überlebenskunst ihrer Vorfahrinnen besann und Quilts herstellte.

Das verbindet sie mit den Frauen von der Südseeinsel Bora Bora, aus Simbabwe, Panama oder der Türkei, die nach Nürnberg gekommen sind. Sie sticken, weben, nähen, stricken oder applizieren. Sie stellen nützliche und schöne Dinge her, so wie es die Frauen in ihren Familien seit langer Zeit getan haben. Sie schließen sich in Gruppen, Kooperativen oder alternativen Unternehmen zusammen und verkaufen ihre Werke auf dem Markt oder in selbstgegründeten Geschäften an Menschen, die über Geld verfügen – meistens Touristen. Sie lernen Preiskalkulation, Buchhaltung und Verhandlungstechniken. Fähigkeiten, die ihnen auch Chancen auf bezahlte Arbeit in einem Sektor eröffnen, der ihnen, den „Ungelernten“, bisher verschlossen war. Sie machen Frauenkultur sichtbar, erzählen Geschichten, ihre Geschichten, sie schaffen Über-Lebens-Kunst.

Manche dieser Geschichten berichten von Liebe, andere von Armut und Gewalt. Wie das Stoffbild von Mariela Salazar, die heute in Bolivien lebt. In diesen Bilderbogen hat sie ihr Leben hineingearbeitet. Ein ruhiges Leben auf dem Land, bis der politische Terror einbricht. Kinder flüchten und stehen irgendwann vor dem Grab ihrer Eltern. „Sie haben Glück“, kommentiert Mariela, „sie haben ihre Eltern wenigstens gefunden.“ Das nächste Bild zeigt eine Blechhüttenstadt am Rande Limas, Zufluchtsort der Überlebenden. Gelbe, quadratische Würfel, einer neben dem anderen. Dazwischen Abfall. Kein Wasser, keine Kanalisation. „Das Leben der Frauen ist sehr, sehr hart“, sagt Mariela. „Früher konnten sie als Bäuerinnen für das Überleben ihrer Familien sorgen, hier haben sie nichts, hier stecken sie in Dreck und Abhängigkeit.“ Dennoch schaffen es einige Frauen, sich zu organisieren und Werkstätten zu gründen. Sie nähen kleine Rucksäcke und verkaufen sie. Mit diesem Bilderbogen, so Mariela, „kann ich den Frauen hier von meinem Leben erzählen – es ist das Leben vieler Frauen in meinem Land –, auch wenn ich ihre Sprache nicht spreche“.

Alicia Villanueva aus Lima, Mitarbeiterin der feministischen Organisation „Emanuela Ramos“, unterstützt die mujeres creativas – die kreativen Frauen, die einen eigenen Laden für ihr Kunsthandwerk betreiben. „Indem wir sie ermuntern, auf den Stoffbildern ihr Leben, ihre Arbeit darzustellen, wird ihr Alltag sichtbar und Frauengeschichte überliefert. Sie lernen ihre Arbeit schätzen und gewinnen Selbstachtung.“ Das Geld, das die Frauen durch diese Arbeiten verdienen, stärkt ihre Stellung in der Familie, macht sie unabhängiger. Auch die Betrachter der Kunstwerke gewinnen dazu, sie lernen die Welt mit den Augen dieser Frauen zu sehen.

Elisabeth Menodji aus dem Tschad hofft auf „neue Märkte, um unsere Kooperative am Leben zu erhalten. Deshalb bin ich glücklich, daß ich hier in Nürnberg sein kann. Ich habe viel von den Erfahrungen der anderen Frauen gelernt.“ In ihrer Kooperative, dem Stickatelier von Kabalaye, sind 150 Frauen zusammengeschlossen. Jede Frau zahlt eine Summe ein und arbeitet einen Monat umsonst, um die Materialien kaufen zu können. Elisabeth ist eine der wenigen Frauen, die schreiben gelernt haben. Doch das nützt ihr wenig. Genauso wenig wie ihrem Mann, der Staatsangestellter ist: Der Staat ist bankrott, seit neun Monaten wird kein Lohn mehr ausgezahlt. Also ernährt Elisabeth ihre neun Kinder und den Mann alleine mit ihren Stickereien: „Ich bin schon lange in der Kooperative und kann gut und schnell sticken, manchmal mache ich zwei Arbeiten gleichzeitig.“

Nachmittags verwandelt sich der Nürnberger Kongreßsaal in eine Kreativwerkstatt. Gemeinsam stellen die Frauen einen großen Quilt her. Er soll nach Peking zur Weltfrauenkonferenz geschickt werden und dort ihre Wünsche und Forderungen zum Ausdruck bringen. Die Ägypterin Victoria Aweyda Moussa stickt eine Mutter mit einem Wasserkrug auf dem Kopf und einem Kind an der Hand. Neben einer Palme steht ein kleines Bauernhaus, eine Kuh, und Ziegen weiden. Victoria kann von solch einer Idylle nur träumen: Sie lebt mitten im Müll, in der Abfallhalde von Kairo. Wie alle anderen Familien, so hat auch sie dort früher Müll sortiert und verbrannt und damit den Lebensunterhalt für ihre acht Kinder bestritten. Jetzt produziert sie Stickbilder und kann von ihrem Verdienst nun ab und zu auch Medikamente bezahlen. Denn von den Verbrennungsgasen des Abfalls ist sie krank geworden: Manchmal hat sie solche Schmerzen in der Brust, daß sie nicht mehr sticken kann.

Was verbindet Aijan Bekkulova aus Kasachstan mit Mariela aus Bolivien und Victoria aus Ägypten? Auf den ersten Blick nicht viel: Sie kann zwei Hochschulabschlüsse in Finanzwirtschaft und Kunst vorweisen. Aijan Bekkulova vertritt die „Liga für schöpferische Frauen“, in der sich künstlerisch tätige Frauen mit hohen Bildungs- und Berufsqualifikationen organisiert haben. „Um das nackte Überleben zu retten“, wie Aijan sagt. Der politische und wirtschaftliche Umbruch in der ehemaligen Sowjetunion hat vor allem die Frauen in blanke Armut gestürzt. „Ich beneide und bewundere die Frauen, die schon einen Weg gefunden haben, um zu überleben. Wir sind erst ganz am Anfang.“ Ermutigt durch die neuen Kontakte wird sie nach Alma Ata zurückfahren.

In kleinem Rahmen, vorsichtig, realistisch, werden sie und all die anderen Frauen weiterarbeiten. Illusionen vertragen sich nicht mit „Überlebenskunst“. Das große Exportgeschäft würde nur ihre Strukturen ruinieren. Statt dessen aber haben die Frauen in Nürnberg ein Netzwerk zu knüpfen begonnen, untereinander und mit den Einkäuferinnen aus den deutschen „Dritte-Welt-Läden“.