Filigranes Liebesleben, detailreich

Derlei haben die ehrwürdigen Vitrinen der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden noch nicht beherbergt. Statt bibliophiler Pretiosen tummeln sich dort derzeit höchst anschauliche Zeugnisse aus 5.000 Jahren chinesischer Sexualkultur – keineswegs alle aus Papier. Sie entstammen der Privatsammlung des chinesischen Sexualwissenschaftlers Liu Dalin, der letztes Jahr in Berlin die Magnus- Hirschfeld-Medaille verliehen bekam. Eigentlich sollte seine Sammlung schon damals gezeigt werden, aber Peking verbot die Ausfuhr. Über Taiwan konnte sie nun doch nach Berlin verfrachtet werden, allerdings um den Preis einiger auf dem Transport zerbrochener Teile.

Die Mehrzahl der Exponate stammt aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dem Adel dienten sie als dekorative Zerstreuung, in Mittel- und Unterschicht als explizites Aufklärungsmaterial. Auf Teetassen, Schalen oder Döschen tummeln sich Pärchen im filigran gezeichneten Leibesreigen, und ein Satz detailreicher Porzellanfigürchen führt allerlei lustvolle Verrenkungen vor. Besonders anschaulich gestaltet sind Gemälderollen, die Töchter als Mitgift erhielten: Das junge Paar befestigte sie am geschlossenen Bettvorhang und konnte nun die dargestellten Stellungen nachahmen. Den gleichen Zweck erfüllten Porzellandosen in Fruchtform, deren Deckel ein amouröses Innenleben verbirgt.

Die Paare sind keineswegs immer allein. Auf einem Bilderbogen befriedigt sich eine Frau unter beifälligem Lächeln von zwei Voyeuren am Fenster mit einem an ihrem Fuß befestigten Dildo. Heute sind Homosexuelle in China Repressionen ausgesetzt, früher jedoch ging man toleranter mit ihnen um als in Europa. Was „Der Kaiser und sein Leibgardist“ ebenso belegen wie zwei lesbische Liebesszenen. (Bis 22.7., Unter den Linden 8) bh/Abb.: Katalog