Der Hans-im-Glück-Effekt

■ Mit "Tauschen statt Kaufen" wurde gestern Berlins erster Tauschladen eröffnet / Zukunftsweisende Idee oder Neuerfindung der Wertvernichtungsmaschine

Als Sozial- und Wirtschaftform ist der Kommunismus vorerst gescheitert, doch als Geschäftsidee geht er derzeit in Charlottenburg um. Denn seit gestern gibt es in der Kantstraße ein Geschäft, in dem Waren nicht mit Geld bezahlt, sondern ausschließlich getauscht werden. Dementsprechend heißt die Devise des gleichnamigen Ladens von Marion Neuhäuser und Harald Winter „Tauschen statt Kaufen“. Ziel und Zweck des Ladens besteht nach Angaben der Betreiber darin, überflüssige Gegenstände gegen gleichwertige Artikel umzutauschen, ohne daß dabei die häufig drastischen Wertminderungen, wie sie bei anderen Verkaufsformen üblich sind.

Beispiel: X besitzt eine Rolex. Er hat nunmehr im Alter von vierzig Jahren endlich die Pubertät absolviert und will nun den Loddel- Chronometer verhökern, um sich vom Erlös eine gebrauchte Harley Davidson anzuschaffen. Kein Problem – denkt er. Schließlich hat der viertelpfundschwere Armgelenksrenommierpimmel aus purem Gold zwei Jahre zuvor immerhin über zwanzigtausend Mark gekostet. Die Uhr müßte also gut und gern zehn Mille bringen. Pustekuchen! Beim An- und Verkauf bietet der Händler X gerade mal zweitausend Mark, obwohl der Zeitmesser in tadellosem Zustand ist und auch noch richtig tickt.

Derartige Probleme will Marion Neuhäuser von „Tauschen statt Kaufen“ durch direktes Tauschen lösen. Beispielsweise den TV gegen ein Mountainbike, den Gameboy gegen diverse Legokästen oder eben die Rolex gegen eine Harley Davidson.

Tauschen, die älteste Handelsbeziehung unserer Gattung, erfreute sich auch in der sozialistischen Gedankenwelt großer Beliebtheit. Dennoch, marxistische Fundis sind die beiden Geschäftsleute nicht. Ihnen geht es ums Geldverdienen. Das Prinzip ist einfach. Jeder Kunde erhält für seine Ware, die er loswerden möchte – vorausgesetzt sie ist neu oder neuwertig – einen Gutschein in Höhe des ursprünglichen Warenwertes.

Kategorie eins beinhaltet Warenwerte zwischen 10 und 30 Mark, Kategorie zwei 31 bis 80 Mark, Kategorie drei 81 bis 150 Mark, Kategorie vier 151 bis 400 Mark, Kategorie fünf 401 bis 1.300 Mark und Kategorie sechs reicht von 1.301 bis unendlich. Schleppt der Kunde nun beispielsweise eine Rolex an, kriegt er zunächst einen Gutschein der Kategorie sechs, der ihn berechtigt, ein adäquates Tauschobjekt von 1.301 Mark aufwärts zu erwerben. Der Haken an der Sache ist bloß, daß die Harleys und Privatflugzeuge noch nicht so recht vorhanden sind.

Und so zieren vorläufig Eierkocher, ein Fön, eine Frisbeescheibe, eine Spaghetti-Schneidemaschine, ein achtteiliges Kochset aus glänzendem Edelstahl, ein Karaoke- Recorder für Kids und ein chromglänzender Luxus-Weinflaschenöffner in der Größe einer Panzerabwehrrakete die Regale. Die Handelswarengrundausstattung, von der Chefin liebevoll im Kaufhaus zusammengesucht, vermittelt den aufrüttelnden Eindruck der Trostpreisecke der Sat.1-Glücksspirale.

Entscheidet sich ein Kunde nun für einen der vorhandenen Gegenstände, kassiert „Tauschen statt Kaufen“ je nach Kategorie zwischen fünf und einhundert Mark aufwärts. Ob das funktioniert? Denn die Entropie eines Besitzstandes verhält sich umgekehrt proportional zum Wertunterschied der Ramschgüter. Eine Erfahrung, die schon der legendäre Hans-im-Glück machen mußte, als er seinerzeit mit einem Goldklumpen ein ähnliches Tauschsystem pflegte und am Ende mit einem Wetzstein davonzockelte, den er dann schließlich ungeschickterweise in einen Brunnen schmiß.

Bei „Tauschen statt Kaufen“ ist ein ähnliches Ende absehbar: Kauft jemand beispielsweise ein Schmuckstück im Wert von 151 Mark und bringt es ins Geschäft, berechtigt ihn das zum Bezug eines anderen Gegenstandes, der gleichen Wertkategorie (vier, von 151 bis 400 Mark). Clevererweise wird er sich dann für den neuwertigen Ghettoblaster entscheiden, der (noch) im Regal rumsteht und doppelt soviel wert ist. Marion Häuser glaubt jedoch nicht an derartig berechnende Klienten: „Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Leute die Sachen nehmen, die sie gebrauchen können und nicht so auf den Wert achten“, behauptet sie in Verkennung der menschlichen Schnäppchenmentalität. Dabei darf sie noch nicht mal einen Differenzbetrag einfordern. Das verbietet der Vertrag, den die Berliner Geschäftsleute mit dem Frankfurter Lizenzgeber abgeschlossen haben.

Dessen eigenes Projekt mag ohnehin laufen wie es will – er kassiert von den Lizenznehmern allein 6.000 Mark für die Lizenzvergabe, sowie einen jährlichen Beitrag von einhundertfünfzig Mark. Peter Lerch