"Macht das Russenlager sicher"

■ Die PhysikerInnen Annette Schaper und Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, zum Umgang mit russischem Bombenplutonium

taz: Wieviel Plutonium aus verschrotteten Atomraketen gibt es zur Zeit in Rußland?

Schaper: Eine offizielle Zahl gibt es nicht. Aber in der Diskussion unter internationalen Experten ist von rund 100 Tonnen die Rede. Dazu gehört auch das Material aus Sprengköpfen in ehemaligen Republiken der UdSSR außerhalb von Rußland. Die Demontage der Sprengköpfe aber findet ausschließlich in Rußland statt.

Kann da im Lauf der Zeit noch mehr Plutonium dazukommen?

Müller: Sollte es zu einem Vertrag zu Start III kommen, also weiter abgerüstet werden, wird noch mehr Plutonium anfallen.

Wo und wie wird das waffengrädige Plutonium aus ausgemusterten Atomsprengköpfen in Rußland gelagert?

Schaper: Zur Zeit wird es bei den Fabriken gelagert, in denen die Sprengköpfe demontiert werden. Diese Fabriken verfügen deshalb nur über sehr begrenzte Lagerkapazitäten. Die sind eigentlich jetzt schon erschöpft. Das ist ein Grund dafür, daß der Abrüstungsprozeß, der eigentlich ganz gut lief, zwischenzeitlich zum Stillstand gekommen ist. Abgesehen davon sind Gehälter für die Arbeiter und Angestellten dort nicht gezahlt worden. Der Frust ist überall groß. Erste Aufgabe müßte es deshalb sein, ein neues, sicheres Lager zu bauen. Doch ob das Realität werden wird, steht in den Sternen, obgleich sich die US-Amerikaner heftig bemühen, hier etwas in die Gänge zu bringen. Gegen die Option, etwa in Tomsk 7 ein solches Lager zu bauen, wehrt sich die regionale Umweltbewegung. In dem Atomkomplex war es nämlich zu einer Explosion gekommen, bei der radioaktives Material freigesetzt wurde. Jetzt ist der Standort Krasnojarsk im Gespräch. Nur zur Klarstellung: Auch in Krasnojarsk geht es nur um den Bau eines Lagers. Das heißt, daß die Plutoniumkomponenten dort technisch jederzeit zur Verfügung stehen und theoretisch wieder in neue Sprengköpfe eingesetzt werden können.

Wie sind denn die bestehenden Lagerhallen bei den Demontagewerken gesichert?

Schaper: Der Schutz beruht ausschließlich auf Personal. Das hat zu Zeiten der UdSSR wunderbar funktioniert, weil die spezielle gesellschaftliche Struktur keinerlei Ausreise- und Ausreißmöglichkeiten bot. Es gab das System der wechselseitigen Kontrolle und der Auszeichnungen. Diese Prestigeaspekte haben sich heute ins Gegenteil verkehrt. Die ganze Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Wir gehen aber davon aus, daß er Kernwaffenkomplex noch einigermaßen funktioniert.

Müller: Es gibt zwar mehrere Fälle, bei denen radioaktives Material entwendet wurde. Es handelt sich aber in keinem Fall um Material, das in Rußland für Kernwaffen produziert wurde. In einem Fall kam hochangereichertes Uran aus einem Brennelement für einen Unterseeboot-Reaktor. Beim Schrott kann allerdings auch der militärische Komplex als Unsicherheitsfaktor angesehen werden. Bei der Produktion in den vergangenen Jahrzehnten fielen Stäube an. An den Handschuhen klebt Plutonium. Dazu kommen Reste, die bei der Formung der Waffengeometrie entstanden. Das alles ist schwerer zu kontrollieren als die Sprengköpfe und ihre nuklearen Bestandteile. Der Schrott liegt dort herum und könnte grammweise mit sehr geringem Aufwand entwendet werden.

Schaper: Plutoniumstücke kann man in Zeitungspapier einwickeln und wegtragen. Da fällt man nicht tot um.

Was soll nun mit dem Bombenstoff aus den abgerüsteten Atomsprengköpfen geschehen? Eingebaut in MOX-Brennelemente, könnte dieses Waffenplutonium in Atomkraftwerken noch einen zivilen Nutzen stiften: Billionen von Kilowattstunden Strom.

Schaper: Das sagt Siemens – und das sagen auch die Russen. Das ist der Grund, warum sich die Russen so vehement gegen die Verglasung und Endlagerung wehren. Die Russen würden gerne MOX produzieren oder produzieren lassen oder sich eine modifizierte MOX- Option offenhalten – den Bau von schnellen Brütern. Das wäre dann der Großeinstieg in die zivile Energiewirtschaft in Rußland mit dem Effekt, daß erst recht viel Plutonium produziert wird.

Müller: Für diesen Fall multiplizieren sich unsere Befürchtungen. Brüter – ganz schlecht! MOX – auch schlecht! Und dann noch Rußland! Meine Präferenz wäre die Verglasung und Endlagerung. Das Problem dabei ist, daß das die Russen nicht wollen. Und wenn ich Russen sage, meine ich nicht nur die Plutoniumfreaks im Ministerium für Atomenergie, sondern Leute bis weit in das Spektrum der sehr vernünftigen, abrüstungsfreundlichen, demokratisch gesinnten Labor- und Institutsszene hinein. Diese Leute bestehen mit einer für uns unverständlichen Beharrlichkeit darauf, den Energiegehalt des Materials zu nutzen. Für uns ist das Zeug gefährlicher Abfall, für Saddam Hussein ist es die erwünschte Bombe – und für die Russen ist es ein Produkt jahrzehntelanger Arbeit im Sozialismus.

Bleibt die Option auf die MOX- Produktion – in Hanau oder in Rußland?

Schaper: Sollte tatsächlich in Rußland eine MOX-Anlage gebaut werden, würde das nicht nur lange dauern, sondern auch viel Geld kosten, das sie Russen nicht haben. Und es gilt zu bedenken, falls die Finanzierung von außen abgesichert würde, daß den Russen damit genau das hingestellt werden würde, was sie haben wollen. Sie werden die Anlage dazu benutzen, einen zivilen Brennstoffkreislauf herzustellen. Mit der Folge, daß sie dann auch eine Wiederaufbereitungsanlage betreiben und Plutonium separieren.

Dann also doch besser das Plutonium nach Hanau verfrachten?

Schaper: In Hanau kann man zumindest davon ausgehen, daß das Ganze unter internationaler Kontrolle über die Bühne gehen würde. Und man könnte sicher sein, daß nicht neues, ziviles Plutonium produziert würde. In Rußland dagegen gibt es überhaupt keine internationale Kontrolle – eine Lücke im Nichtverbreitungssystem. Und die Russen sind auf absehbare Zeit auch nicht bereit, internationale Kontrolleure zu akzeptieren. Auch die Demontage der Sprengköpfe findet völlig ohne internationale Kontrolle statt. Wir und selbst die US-Amerikaner müssen einfach glauben, was uns erzählt wird. Die MOX-Option Hanau hat aber auch Nachteile. Ein Nachteil ist der lange Transportweg. Ein anderer die Energiekonsensdiskussion, die einer solchen Verfahrensweise diametral entgegenstehen würde. Siemens hat auch keine Genehmigung für den Umgang mit waffengrädigem Plutonium, was den Zeitvorteil relativieren könnte. Und wo sollen die MOX-Elemente zum Einsatz kommen? Die dafür mit Genehmigungen ausgestatteten deutschen Reaktoren sind voll ausgelastet mit MOX-Elementen aus „deutschem“ Plutonium aus der Wiederaufarbeitung in LaHague und Sellafield – über die Altverträge noch bis zum Jahre 2005. Da müßten irgendwo in Westeuropa neue Genehmigungen für den MOX-Einsatz vergeben werden.

Müller: Die Transportwege sind aber das entscheidende Problem. Der ideale Transportweg wäre: Schiene in Rußland, mit dem Schiff über die Ostsee und dann Schiene in Deutschland. Selbst wenn das waffenfähige Plutonium schon in Rußland mit Uran gemischt würde, damit es seine Waffentauglichkeit verliert, muß die Sicherheit dieses Materials auf einem sehr langen Weg gewährleistet werden. Die politische Akzeptanz für solche Transporte etwa bei den Ostseestaaten und auch in Deutschland wird kaum herzustellen sein. Wir haben den massiven Widerstand gegen den Castor-Transport gerade erlebt. Da könnten sich sämtliche rot-grünen Koalitionen der Welt mit Engelszungen für solche Transporte einsetzen, die Leute wären auf der Straße. Natürlich sieht die Lösung Hanau auf den ersten Blick gut aus: Da steht eine Fabrik, die hat fast alle erforderlichen Genehmigungen – und in Rußland steht gar nix. Dort gibt es eine winzige halbfertige Anlage, von der die Experten sagen, daß sie niemals fertiggebaut werden dürfte, weil sie so unsicher ist. Und in Rußland eine solche Großanlage bauen? Abgesehen vom Zeitfaktor kann man am Beispiel Sachalin (Erdbeben) sehen, welche wahnsinnigen Verhältnisse dort herrschen. Realisiert werden könnte ein solcher Plan nur unter schärfster internationaler Kontrolle. Und wenn das Ministerium für Atomenergie dies ablehnt, ist diese Option ohnehin gestorben. Vielleicht bauen die Russen dann selbst eine solche Anlage mit Nägeln und Heftpfaster.

Bleibt weiter die Frage: Was tun?

Müller: Wenn wir die erste Option auf Verglasung und Endlagerung abhaken müssen, weil die Akzeptanz dafür in Rußland nicht vorhanden ist, müssen wir auch die Option Hanau aufgrund der nicht vorhandenen Akzeptanz in Deutschland abhaken. Bleibt die Option MOX in Rußland. Das wäre der politisch einfachste Weg – aber auch der gefährlichste.

Schaper: Die Verglasung ist ohnehin noch nicht ausgereift. Man weiß zwar, wie radioaktiver Abfall verglast wird. Man weiß aber nicht genau, was passiert, wenn man zuviel Plutonium einmischt. Auch das Genehmigungsverfahren dafür wird lange dauern. Außerdem ist Verglasung unheimlich teuer.

Also geschieht nichts?

Schaper: Exakt.

Müller: Wir sind wieder am Anfang des Gesprächs angelangt: beim Lager. Macht mir das Russenlager sicher! Das ist die umsetzbare Option. Man sollte sich jetzt darüber Gedanken machen, wie ein sicheres Plutoniumlager in Rußland technisch und finanziell unterstützt werden kann. Selbst wenn man sich für eine der drei Optionen entscheiden sollte, wird es noch Jahre bis zur Umsetzung dauern. Zumindest bis dahin muß das Teufelszeug noch gelagert werden, aber um Gottes willen sicher.

Interview

Klaus-Peter Klingelschmitt