„Vom Zentrum nicht einschüchtern lassen“

■ Der irische Lyriker und Übersetzer Gabriel Rosenstock über den Reichtum „kleiner“ Sprachen

taz: Herr Rosenstock, wie kommt es, daß ein Mann mit dem deutschen Namen Gabriel Rosenstock irische Gedichte schreibt und Lyrik ins Irische übersetzt?

Gabriel Rosenstock: Mein Vater stammt aus Schleswig-Holstein, hat aber 25 Jahre in Irland gelebt. Ich bin als erstes seiner Kinder in Irland geboren und in einer ländlichen Gegend in der Grafschaft Limerick aufgewachsen, also in einer englischsprachigen Umgebung, aber mit einem deutschsprachigen Vater. Zunächst wollte ich mich im Englischen vervollkommnen. Mit dem Hiberno-Englischen als einer Variante der englischen Sprache und der anglo-irischen Literatur als einer Variante der englischen Literatur ging es nach meinem Eindruck jedoch bergab, und nach der Schule wollte ich mich umorientieren. So habe ich mich den marginalisierten gälisch-keltischen Wurzeln unserer Kultur zugewandt und am University College Cork mit dem Irischstudium begonnen. Ich bin also ein Dichter, der die englische Sprache verworfen hat, um auf Irisch zu schreiben. Gleichzeitig finde ich, daß die beste Art, Lyrik zu lesen, darin besteht, sie zu übersetzen.

Was haben Sie bisher ins Irische übersetzt?

Aus dem Deutschen Gedichtbände von Trakl, Heym, Huchel und Grass, ein Theaterstück von Frisch und ein Hörspiel von Böll, außerdem Yeats, Seamus Heaney, J. W. Hackett und zwei Bände von Francisco X. Alarcon.

Weshalb sollte es sich denn lohnen, in eine „marginalisierte“ Sprache zu übersetzen?

In einem zumindest nominell zweisprachigen Land wie Irland reicht es nicht, sich auf englischsprachige Übertragungen zu verlassen, so klangvoll und kompetent sie auch sein mögen, denn wie Dylan Thomas sagt, kommt es auf die „Farbe des Sagens“ an. Als gälischer Dichter mit einer keltischen Vorstellungskraft übersetze ich mit einem ganz anderen historischen Bewußtsein, einem ganz anderen melodischen Gespür, einer ganz anderen Art der Deutung.

Aber dienen Übersetzungen in eine so „kleine“ Sprache nicht eher der Selbstbefriedigung des Autors?

Ich glaube, daß wir zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens übersetzen, ob Zeichen, Symbole oder Blicke. Leben heißt Übersetzen, Umwandeln, das Übersetzen von Literatur ist nur die natürliche Fortsetzung. Als gälischer Dichter wäre ich beunruhigt, wenn fremde Kulturen, wie es in der Hauptsache geschieht, ausschließlich durch das Medium des Englischen vermittelt würden. Das würde meine emotionalen, intellektuellen und ästhetischen Bedürfnisse nicht annähernd befriedigen.

Wie viele potentielle und tatsächliche Leser haben Sie?

Es gibt in Irland etwa 40.000 Menschen, die des Irischen mächtig sind. Von denen gehören etwa 800 zu den regelmäßigen Buchkäufern. Wenn von den 400 Gedichten, die ich bisher übertragen habe, eines in den „Kanon“ aufgenommen würde, wenn die Sprache meines Herzens weitere 500 Jahre überdauern würde, wäre ich zufrieden. Ich schreibe aus dem Zeitgeist der Zukunft heraus. Manchmal vergessen wir, daß Irisch die Sprache der höchstentwickelten Dichtkunst Westeuropas war. In Irland gab es ein Goldenes Zeitalter der Literatur, als die englische Literatur noch in den Anfängen steckte.

Das war in der Vergangenheit.

Ich erinnere mich, wie Günter Grass bei der Vorstellung seines Gedichtbandes „Die Schweinkopfsülze“ (auf Irisch „An Cloigeann Muice Glothaithe“) erzählte, seine Großmutter habe Kaschubisch gesprochen – auch eine Minderheitensprache. Als ich einige seiner Gedichte auf Irisch vortrug, fühlte er sich in seinem Glauben an den Reichtum der Peripherie bestätigt. Man sollte sich vom Zentrum nicht einschüchtern lassen. Interview: Hans-Christian Oeser