■ Die Politik der USA angesichts des Krieges in Bosnien
: Reine Rhetorik

George Kenney war im US-Außenministerium für Jugoslawien zuständig, bis er 1992 aus Protest gegen die passive Politik der Bush- Administration seinen Posten aufgab.

taz: Die von der Clinton-Administration angekündigte Möglichkeit, mit US-Truppen bei einer Umgruppierung der UNO-Blauhelme zu helfen, ist von vielen als Wende in der US-Bosnienpolitik betrachtet worden. Nun hat der US-Präsident schon wieder einen halben Rückzieher gemacht und US-Truppen nur für „Notfälle“ in Aussicht gestellt, wenn UN-Verbände an bestimmten Orten festsitzen. Alles wieder nur Bluff?

George Kenney: In erster Linie wollte Clinton meiner Ansicht nach Großbritannien und Frankreich versichern, daß die USA sie in dieser Krise nicht allein lassen. Gleichzeitig weiß Clinton ganz genau, daß es in der US-Öffentlichkeit und im Kongreß massiven Widerstand gegen eine solche Stationierung geben wird. Die Chancen, amerikanische Bodentruppen in Bosnien zu sehen, halte ich also für sehr gering. Es sei denn, die Serben würden anfangen, UN-Geiseln zu erschießen.

Sie halten also die Äußerungen der Clinton-Administration für vorbeugende Rhetorik, und dies deshalb, weil die US-Regierung im Ernstfall die versprochene Stationierung der 25.000 US-Soldaten zum Schutz eines Rückzugs der UNO innenpolitisch gar nicht durchsetzen könnte?

Genau das. Denn dieses Szenario würde meiner Meinung nach eine Krise im Nordatlantischen Bündnis mit weitaus größeren Erschütterungen als die Suez-Krise hervorrufen. Ich glaube, daß dies den westeuropäischen Verbündeten bewußt ist und sie es unter anderem deshalb vorerst nicht auf einen Abzug der UNO absehen werden.

Das sehen so manche Politiker und Kommentatoren in Europa aber anders ...

Mag sein. Im Moment aber ist die notwendige Logistik für einen solchen Abzug gar nicht vorhanden. Ich glaube auch nicht, daß die USA sie in einem solch kurzen Zeitraum bereitstellen könnte. Ein solcher Abzug funktioniert ja keineswegs so einfach, wie ihn seine Befürworter gerne darstellen. Die Realität sähe ganz anders aus: mehr Gefechte; weitere Blauhelme, die als Geiseln genommen werden; Tausende von Toten unter der Zivilbevölkerung. Deshalb haben die Nato-Außenminister bei ihrem Treffen in den Niederlanden auch nicht von einem Abzug gesprochen. Was sie öffentlich wiederum nicht einräumen, ist, daß in gewisser Hinsicht längst alle Unprofor-Truppen Geiseln sind, und zwar Geiseln aller Kampfparteien.

Welche Optionen bleiben unter diesen Umständen für die internationale Gemeinschaft?

Ich sehe nur noch zwei. Für die eine allerdings fehlt der politische Wille; die andere ist unter moralischen Gesichtspunkten scheußlich. Die erste Option bestünde darin, militärisch massiv einzugreifen. Ich glaube zum Beispiel, daß die allerorts geschätzte Zahl von 50.000 Nato-Soldaten zur Sicherung eines UNO-Abzugs nicht ausreichen wird, wenn es bei diesem Rückzug zu massiveren Zusammenstößen kommt. Da wird man plötzlich 75.000 bis 100.000 Nato-Soldaten brauchen. Und dann kann man, zumindest rhetorisch, die Frage stellen: Warum nutzt man eine solche Nato-Präsenz nicht gleich, um das Gebiet zu besetzen und die Kampfparteien zu entwaffnen ...?

... was politisch nicht durchsetzbar ist.

Eben. Bleibt die zweite Option: Zugeständnisse an die Serben, was im Westen mit dem schmerzvollen Bekenntnis der eigenen Fehler verbunden wäre – allen voran die voreilige Anerkennung von Kroatien und Bosnien, die beide nicht in der Lage sind, ihre Grenzen zu verteidigen. Der Westen hat zwar ihre territoriale Souveränität als eine Frage der Prinzipien immer hochgehalten, war aber nie bereit, den Preis für ihren Schutz zu bezahlen. In irgendeiner Form aber wird er ihn bald bezahlen müssen. Entweder durch einen Nato-Einmarsch oder, was sehr viel wahrscheinlicher ist, in Form demütigender Zugeständnisse an die Serben.

Zugeständnisse in welcher Form?

Ich glaube, daß die Serben schon seit einiger Zeit an einer Verhandlungslösung interessiert sind. Bloß ist in ihren Augen nicht akzeptabel, was man ihnen angeboten hat. Sie wollen unter anderem die Möglichkeit einer Föderation mit Belgrad. Hinter den Kulissen hat man darüber wohl schon geredet. Aber man müßte es ihnen als offizielles Verhandlungsangebot auf den Tisch legen.

Was die Frage des Territoriums angeht, so würde man sich wohl weitgehend mit dem zufriedengeben müssen, was die Serben zurückzugeben bereit sind. Sie wissen ja, daß sie nicht das gesamte Territorium unter Kontrolle halten können, das sie bislang erobert haben.

Warum sollte sich die bosnische Regierung auf eine solche „Lösung“ einlassen, zumal in der bosnischen Armee ganz offenbar die Überzeugung vorherrscht, daß man die Serben militärisch zurückdrängen kann? Zum einen müßte der Westen, allen voran die USA, der bosnischen Regierung klarmachen, daß von westlicher Seite keine Unterstützung für eine Weiterführung des Krieges zu erwarten ist. Zum anderen muß man ihnen massive Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe zum Wiederaufbau ihres Landes anbieten. Ein großes Problem ist ja auch, daß gerade die USA immer auf zwei Schienen gefahren sind: Einerseits hat man die Bosnier in ihrer Fortführung eines low intensity war zumindest rhetorisch unterstützt, andererseits auf diplomatischer Ebene an Waffenstillstands- und Verhandlungslösungen gearbeitet. Diese Doppelstrategie ist irgendwann nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Sie schlagen vor, militärische Agression zu belohnen...

Ich weiß. Wenn wir die Prinzipien respektieren würden, die wir im Bosnien-Krieg immer noch hochhalten, dann hätten wir schon vor langer Zeit eingreifen müssen. Wenn wir aber nicht bereit sind, den Preis für die Durchsetzung unserer hehren Grundsätze zu bezahlen – und mittlerweile besteht er nach meiner Einschätzung in einem Nato- Einmarsch –, dann sollten wir aufhören, so zu tun, als ob diese Prinzipien unser Handeln bestimmten.

Abgesehen von moralischen Einwänden – ihre zweite Option erscheint ebenso unrealistisch wie die erste. Wie also weiter?

Ich fürchte, man wird die UNO- Truppen umgruppieren und militärisch etwas aufrüsten, was ihre humanitäre Mission faktisch beendet und sie in eine enorm schwierige Situation bringt. Die Risiken der ganzen Operation steigen, ohne daß Fortschritte in Richtung Ende des Konflikts zu erkennen wären. Und da ich weder für dieses Jahr mit einem UNO-Abzug rechne noch für das nächste, in dem der Präsidentschaftswahlkampf in den Vereinigten Staaten jede Stationierung von US-Soldaten ausschließt, wird die UNO für die nächsten zwei Jahre weiterhin in Bosnien festsitzen, ohne daß sich irgend etwas am Elend der Menschen dort ändert. Gespräch: Andrea Böhm,

Washington