■ Christo verhüllt
: Den Mount Reichstag bezwingen

Mit dem Fahrstuhl fahren die Männer nicht nach oben. Sie hangeln sich vielmehr mit Seilen an den Fenstern und Figuren nach oben. Oben angekommen, blicken sie stolz und verschwitzt über das morgendliche Berlin, bevor die Kletterer dann auf dem Dach des Reichstags mit ihrer Arbeit beginnen.

Die Verpackung des Mount Everest könnte kaum aufwendiger ablaufen: Täglich seilen sich fünf Kletterer an dem geschichtsträchtigen Haus ab, um den Sandsteinbau vor der Kunst, die da kommen wird, zu schützen. Gemeinsam mit dreißig Stahlbauern stülpen sie den Statuen und Vasen auf dem Dach Käfige über und bringen überall an dem Gebäude, wo der Stoff mehr als 45 Grad umgelenkt wird, einen Stahlschutz an und legen PVC auf. Um Schäden durch Seile zu vermeiden, werden Holzleisten um die Säulen angebracht.

Da hangelt sich dann ein langhaariger Adonis neben einen anderen Muskelprotz mit Tuch im Haar und zerlumpten Jeans. Fünfundachtzig weitere Kerle vom gleichen Schlag sollen noch kommen, wenn es am 17. Juni richtig losgeht und die Stoffbahnen von insgesamt neunzig Gewerbekletterern hinuntergelassen werden – Marlboro-Abenteuer-Tour am Reichstag. Allerdings mit strengen Sicherheitsvorschriften: Alle Bewerber mußten vor der ersten Tour eine Prüfung beim Verband der deutschen Skifahrer und Bergwanderer ablegen. „Drei fielen durch die Prüfung“, sagte Robert Jatkowski von der Verhüllungs-GmbH.

Über und neben den Stahl- und Holzschutzvorkehrungen sind ein paar blaue Bändel um die grauen Säulen des ehrwürdigen Gebäudes gewunden. Sie sind Teile eines Rückhaltesystems, an dem das Verhüllungsmaterial befestigt wird.

Auch das Innere des Reichstages soll der Kunst Rückhalt geben: Hinter der Fensterfront werden Stahlträger aufgebaut, die über Seile mit dem Stoff verbunden werden. Damit die 100.000 Quadratmeter Stoff nicht lose herumflattern, sondern am Boden bleiben, so wie Christo und Jeanne-Claude sich das vorstellen, schleppt ein kleiner Kran (und leider nicht die Kopien von Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone), Gewichte herbei. Daran werden die Stoffbahnen mit Schlaufen befestigt. Jede Bahn des Polypropylengewebes wird mit anderthalb Tonnen Gewicht am Boden gehalten werden. Nina Kaden

Fortsetzung morgen