Straßenschlacht in der Grafschaft

Im nordenglischen Bradford liefern sich asiatische Jugendliche und die Polizei einen Kleinkrieg / Der Zorn über die soziale Misere richtet sich auch gegen die Besitzer kleiner Geschäfte  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Seit Freitag nacht kracht es in der Innenstadt von Bradford in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire. Rund 300 asiatische Jugendliche haben in Manningham, einem Stadtteil, der hauptsächlich von AsiatInnen und StudentInnen bewohnt wird, mit Hilfe von Brettern, Steinen und gestohlenen Autos in mehreren Straßen Barrikaden errichtet und liefern sich nachts Schlachten mit der Polizei.

Die Krawalle begannen am Freitag abend gegen halb zehn, als eine Polizeistreife versuchte, eine Ansammlung Jugendlicher aufzulösen. Dabei soll der Streifenwagen einem Jungen über den Fuß gefahren sein. Bei dem anschließenden Handgemenge verhaftete die Polizei zwei asiatische Jugendliche. Deren Familien und Nachbarn gingen daraufhin auf die Straße und forderten die Freilassung der beiden. Statt dessen schickte die Polizei jedoch rund hundert Beamte in Kampfanzügen, die die Straße räumen sollten. Dabei machten die Ordnungshüter weidlich von ihren Schlagstöcken Gebrauch. Augenzeugen berichteten, daß die Polizisten „auf alles einschlugen, was sich bewegte“.

Die Polizeiführung bestritt, daß die Beamten überreagiert hätten. Der stellvertretende Polizeichef von West-Yorkshire, Norman Bettison, sagte gestern, es gebe „zu diesem Zeitpunkt keine Hinweise für irgendein Fehlverhalten“ seiner Leute. Er denke daher nicht daran, irgendeinen der Beamten vom Dienst zu suspendieren. Allerdings erklärte er sich bereit, nach den Ereignissen eine Untersuchung „der Behauptungen über unprofessionelles Benehmen der Polizei“ einzuleiten.

Bettison sagte, die Polizisten seien von den Jugendlichen angegriffen und die Streifenwagen mit Steinen beworfen worden. In der Oak Lane, einer Hauptverkehrsstraße in Manningham, schoben die Jugendlichen zwei Autos quer auf die Fahrbahn und zündeten sie an. Verschiedene Kommunalpolitiker und Sprecher der verschiedenen Bevölkerungsgruppen überredeten die Polizei schließlich, sich zurückzuziehen. Bettison beschwor die Jugendlichen, die Ruhe zu bewahren und die Zeit zu Hause zu bleiben.

Die Ruhe währte jedoch nur bis Samstag nacht. Dann zogen Hunderte von Jugendlichen, manche nicht älter als zwölf, vor das Polizeirevier in der Toller Lane, wo die beiden anderen, die am Freitag verhaftet wurden, festgehalten werden. Im Handumdrehen kam es abermals zu einer Straßenschlacht, bei der Flaschen, Steine und Benzinbomben flogen. Drei Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer. Die Polizei verhaftete zwölf Jugendliche – ein Ende der schweren Krawalle in der englischen Grafschaft ist deshalb wohl vorerst nicht in Sicht.

Ein Augenzeuge sagte gestern zur taz: „Bei den Unruhen entlädt sich der ganze Frust über die Arbeitslosigkeit und die miesen Lebensbedingungen für asiatische Jugendliche in Manningham. Das Betrübliche an der Sache ist, daß sich der Zorn auch gegen die kleinen Läden richtet, selbst ein asiatischer Supermarkt ist geplündert worden.“ Bradford, eine Großstadt mit rund einer halben Million EinwohnerInnen, hat den höchsten Anteil an MuslimInnen in Großbritannien. Dennoch kommt die 1989 gegründete Islamische Partei bei Wahlen hier nicht über zwei Prozent hinaus, die Stadt Bradford ist schon seit Jahrzehnten fest in Labour-Hand.

Seit Monaten schwelt ein Konflikt anderer Art in Manningham. Die Lum Lane, eine Querstraße der jetzt verbarrikadierten Oak Lane, ist der Rotlichtbezirk von Bradford. Eine asiatische Bürgerinitiative versucht seit einiger Zeit, die Prostituierten von der Straße zu vertreiben. In der vergangenen Woche trafen sich beide Seiten zu Gesprächen im Gemeindezentrum. Für einige der TeilnehmerInnen war es freilich nicht die erste Begegnung: Mehrere Prostituierte identifizierten einige der „rechtschaffenen Bürger für ein sauberes Bradford“ als ihre Stammkunden.