Kurden-Abschiebung mit Steckbrief

■ Seit gestern können Kurden wieder in die Türkei abgeschoben werden / Hinweise auf politische Aktivitäten werden den türkischen Behörden gleich mitgeliefert

Frankfurt/Hannover (taz) – Seit gestern wird wieder in die Türkei abgeschoben. Der Abschiebestopp, den alle Bundesländer außer Bayern nach der Verurteilung von acht kurdischen Parlamentsabgeordneten durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht erlassen hatten, ist abgelaufen. Und weil sich Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) klar gegen eine Verlängerung oder einen neuen Abschiebestopp ausgesprochen hat, verkündeten die für die Abschiebungen eigentlich zuständigen Innenminister der Länder gestern, daß sie über keine Handlungsspielräume mehr verfügten. Pro Asyl nannte dies eine „Bankrotterklärung der Bonner Menschenrechtspolitik“.

Besonders bedenklich: Der Erlaß, mit dem zum Beispiel das niedersächsische Innenministerium jetzt den Abschiebestopp für Kurden auslaufen läßt, enthält detaillierte Regelungen zur Abschiebung von Kurden, „die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK in der Bundesrepublik beteiligt haben“. Wie von Kanther geplant, soll jetzt vor einer Abschiebung in die Türkei zunächst geklärt werden, ob den betroffenen kurdischen Flüchtlingen nach ihrer Ankunft dort eine Strafverfolgung droht.

Das Problem: Erst durch diese Anfrage könnten die türkischen Behörden über die Aktivitäten der Flüchtlinge in der Bundesrepublik informiert werden. Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte hält die Anfrage deshalb für „sehr bedenklich“ und bat das Inneministerium in Hannover um eine Stellungnahme.

Auch der hessische Innenminister Gerhard Bökel sieht sich wegen der anstehenden Abschiebungen von Kurden in die Türkei heftiger Kritik ausgesetzt. Der Parteirat der Bündnisgrünen im Lande kritisierte, Bökel lasse abschieben, „obwohl er weiß, daß die Flüchtlinge in der Türkei Verfolgung und Folter ausgesetzt sind“.

Mit Empörung reagierte auch der Initiativausschuß ausländischer Mitbürger in Hessen, der von Bökel zu einem Gespräch eingeladen worden war. Obwohl amnesty international und Medico International Bökel noch am Freitag neue Dokumente zu der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtssituation für Kurden vorgelegt hatten, blieb der Minister auch gestern stur. Pfarrer Lüderwaldt schimpfte, der Minister verstecke sich hinter Kanther. „Alle entsprechenden Appelle aus der Gesprächsrunde prallten an ihm ab.“

Wegen der harten Haltung von Bökel kriselt es inzwischen in der rot-grünen Koalition. Sowohl Karin Hagemann als auch Tarik al Wazir von der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen fordern Bökel auf, einen neuen Abschiebestopp für Kurden in Hessen zu erlassen. Das Angebot, für die Abzuschiebenden Kontakte zu Menschenrechtsorganisationen herzustellen, hält Hagemann für „Augenwischerei. Das dient nur der Entlastung des eigenen schlechten Gewissens.“

Auch in Nordrhein-Westfalen will das Innenministerium dafür sorgen, daß die Abzuschiebenden schon am Flughafen von einem Mitglied einer Menschenrechtsorganistion in Empfang genommen werden. Doch auch dafür soll die türkische Botschaft in Deutschland im Vorfeld über eine mögliche Strafverfolgung in der Türkei befragt werden – mit den entsprechenden Konsequenzen. Vorläufig, so hieß es im Düsseldorfer Innenministerium weiter, würden Kurden aus den Gebieten, über die von der Türkei der Ausnahmezustand verhängt wurde, allerdings nicht zurückgeschickt. Die Landesregierung will die noch nicht vorliegende schriftliche Urteilsbegründung des OVG Schleswig-Holstein abwarten. Das Gericht kam vor knapp zwei Wochen zu dem Schluß, daß Kurden aus den Krisengebieten in der Türkei über keine Fluchtalternativen verfügten und deshalb generell „als Gruppe“ einen Anspruch auf Asyl hätten.

Auf Einzelfallprüfungen und -verfahren setzt der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Walter Zuber (SPD). Um sicherzustellen, daß ein abzuschiebender Kurde auch alle Rechtsmittel ausschöpfen kann, soll dem Betroffenen eine drohende Abschiebung „drei Monate vorher“ angekündigt werden. Klaus-Peter Klingelschmitt/Jürgen Voges