Regierung verpacken

■ Christo in Berlin – CDU: Freie Fahrt durchs Brandenburger Tor, SPD droht Barrikaden an

Berlin (taz) – Kurz bevor Verpackungskünstler Christo den Reichstag verhüllt hat, spitzt sich die politische Lage in der Hauptstadt zu: Der von der CDU gestellte Verkehrssenator Herwig Haase will nämlich die kommerzielle Aktionskunst nutzen, um nach fünf Jahren des Regierens Fahrzeughaltern endlich eine freie Fahrt durch das Brandenburger Tor zu bescheren – Bausenator Wolfgang Nagel von der mitregierenden SPD dagegen drohte aus Protest mit Barrikaden in Baustellenform. Man dürfe doch nicht die in den kommenden zwei Wochen erwarteten drei Millionen Schaulustigen am nahe gelegenen Brandenburger Tor von der Blechlawine niedermähen lassen.

Beide Senatoren wollen unter Aufsicht des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) gestern nachmittag endlich einen Kompromiß gefunden haben: Freie Fahrt nur vor dem Frühstück, verkündete SPD-Senator Nagel: „Von fünf bis zehn Uhr.“ CDU-Senator Haase interpretierte das Ergebnis nach dem Krisentreffens ganz anders: Freie Fahrt bis zum Kaffeetrinken um 16Uhr.

Wer sich letztendlich durchgesetzt hat, war bis gestern abend völlig unklar. Der Bausenator war weg, der Verkehrssenator unerreichbar und der Senatssprecher verschwunden. Nagel hat jedenfalls vom Bezirk Mitte bereits eine Genehmigung für das Errichten von Baustellen. Denn der Autoverkehr erschüttere das Tor zu stark, so daß Risse drohten, hieß es im Amt. Theoretisch haben CDU und SPD noch vier Monate Zeit, sich über das Tor zu streiten. Am 22. Oktober sind Abgeordnetenhauswahlen. Oder läßt sich die Große Koalition noch vorher von Christo einpacken? Dirk Wildt