Die Macht eines Ministers schützt Kurden

■ Der hessische Innenminister Bökel (SPD) revidiert harte Haltung: Kurden werden nicht abgeschoben / Berichte aus der Türkei machten ihn „nachdenklich“

Wiesbaden (taz) – „Ich habe mich in den letzten beiden Tagen gedanklich bewegt“, sagte der hessische Innenminister Gerhard Bökel gestern auf einer Pressekonferenz im Landtag in Wiesbaden. Und das Ergebnis der geistigen Mobilität des Sozialdemokraten kann sich sehen lassen: In Hessen gilt seit gestern wieder ein auf sechs Monate befristeter Abschiebestopp für Kurden aus der Türkei. Rund 1.600 „ausreisepflichtige“ Kurden in Hessen erhalten so ein befristetes Bleiberecht.

Bökel begründete den bundesweit einmaligen Abschiebestopp mit den andauernden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die ein erhebliches Gefahrenpotential für abgeschobene Kurden darstellten. Noch am vergangenen Freitag hatte es der Minister in einem Gespräch mit Vertretern von Flüchtlingshilfe- und Menschenrechtsorganisationen abgelehnt, einen Abschiebestopp zu verhängen. Am Wochenende zum „Nachdenken“ animiert hätten ihn dann aber die Protokolle aus einer Anhörung von Menschenrechtsorganisationen, die im Innenausschuß des Deutschen Bundestags die Situation in der Türkei beschrieben. Auch die eindeutigen Beschlüsse der SPD-Hessen-Süd und des Parteirates der hessischen Bündnisgrünen beeinflußten den Minister, räumte Bökel freimütig ein. Zwar sei er als Minister an keine Parteitagsbeschlüsse gebunden. Doch die Einstimmigkeit der Voten für den Erlaß eines Abschiebestopps bei SPD und Bündnisgrünen habe ihn schon beeindruckt.

Möglich geworden sei der Erlaß, so Bökel weiter, weil Hessen im November 1993 – nachdem ein sechsmonatiger Abschiebestopp ausgelaufen war – keinen neuen Abschiebestopp verhängt habe. In Hessen ging man damals statt dessen zur sogenannten Einzelfallprüfung über. Genau deshalb könne das Land heute wieder einen neuen Abschiebestopp erlassen. Dagegen dürften die Länder, bei denen am Montag ein Abschiebestopp ausgelaufen war, ohne die Zustimmung von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) keine neue entsprechende Regelung mehr erlassen. Hessen ist damit das einzige Bundesland, in dem derzeit ein Abschiebestopp für Kurden aus der Türkei praktiziert wird. Die anderen SPD-regierten Länder und Baden-Württemberg praktizieren seit Montag die „Einzelfallprüfung“ – und im schwarzen Rest dürfte fleißig abgeschoben werden.

Falls Kanther behaupten sollte, daß Hessen mit dem neuen Abschiebestopp den Asylkompromiß untergrabe oder gegen geltendes Recht verstoße, so Bökel kämpferisch, möge der Unionist vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Klaus-Peter Klingelschmitt