Zu Besuch bei „Hürriyet“

■ Mit Haßtiraden soll die Auflage gesteigert werden

Istanbul (taz) – Ertugrul Özkök, Chef des Hürriyet, sitzt anfangs wie auf dem Sprung. Den Oberkörper leicht vorgebeugt, den linken Arm leicht angewinkelt mit dem Handballen in die Polsterwulst der Armlehne gestemmt, der rechte Unterarm frei, zum Gestikulieren auf die Lehne gelegt, nimmt er die ganze Weite des massigen Ledersessels ein. Der Gesichtsausdruck wirkt angestrengt. Auch seinem Gegenüber, dem Grünen-MdB Cem Özdemir, ist das Lächeln vergangen. In die Ecke eines Zweisitzers gerückt, von dem er nur einen Bruchteil einnimmt, wartet er ab: Showdown im Istanbuler Verlagshaus des Hürriyet. Die knappen eineinhalb Stunden am Montag nachmittag sind für Özdemir einer der „wichtigsten“ Termine seiner zweiten Türkeireise als MdB. „Nur Deutsch?“ fragt Özkök bräsig, als er durch Özdemirs Presseartikel, Redebeiträge und Gesetzesanträge blättert, bevor er bei einer von vielen türkischsprachigen Kolumnen hängenbleibt. Damit liegt das Thema auf dem Tisch: Die Beiträge des Europa-Kolumnisten des Hürriyet, Ertug Karakullukcu. Jener Autor der nationalistischen Propaganda-Offensive, die nach Ansicht Özdemirs „Einwanderer in Deutschland nur weiter in die Isolation“ treibt, statt die „notwendige Emanzipation, ein Raus aus dem Ghetto und die nötige Teilnahme an der Politik zu unterstützen“. Für den Bundestagsabgeordneten bleibt es schwierig, den dozierenden Redefluß des Istanbulers zu unterbrechen. Der gibt zu verstehen, daß die Kampagne auch der Auflagenpolitik des Blattes geschuldet ist. Der Kolumnist sei einer von vielen, „Pluralismus“ eben. Doch der Mann an der Hürriyet-Spitze habe, so Özdemirs Eindruck, „schon verstanden, daß die Art von Türken, die die Europaausgabe von Hürriyet gern hätte, die Generation von gestern ist, die nicht ein Jota bewegen werden, und nicht die, die in Zukunft in Erscheinung treten“. Am nächsten Tag wird das Blatt Özdemir als „Sprecher von Millionen in Deutschland“ zitieren und nicht mehr behaupten, er sei in der Einwanderer-Community isoliert. Am Mittwoch folgt dann in der Europaausgabe ein Novum: Die Unterstützung der „Initiative für Meinungsfreiheit“. Hans Engels