Panasiatischer Poplimbo

Die Medienmesse „MidemAsia“ macht Werbung für „die größte Wachstumsregion der Welt“  ■ Von Ralf Niemczyk

Nicht schlecht, was?“ meint Don Atyeo und weist von der gläsernen Rolltreppe durch die siebenstöckige Glasfront des „Hongkong Convention & Exhibition Center“. Draußen im Hafenbecken stehen ein gutes Dutzend Kräne auf einer aufgeschütteten Insel. Der erst jüngst fertiggestellte Messepalast wird schon wieder erweitert. „Als ich vor zwanzig Jahren das erste Mal hier war“, erinnert sich der Chef des panasiatischen Musikkanals „Channel V“ angesichts der Spiegelglasfassaden des Busineß-Stadtteils Wanchai, „existierte diese Uferzeile überhaupt noch nicht. Die haben sie buchstäblich ins Meer gesetzt“.

Wie die hektischen Köfferchenträger links und rechts neben ihm, ist auch Don Atyeo, der einst für die Recherche seines Buches über die Kung-Fu-Legende Bruce Lee nach Asien kam, auf dem Weg zur „MidemAsia“. Sein Sender, mit Hauptsitz in Hongkong, nutzt das fernöstliche Debüt-Gastspiel der etablierten Musikbörse aus Cannes zum medialen Großauftritt. „Das neueste und beste mehrsprachige, multikulturelle Musikprogramm für 220 Millionen Zuschauer in 53 Ländern von Tokio bis Tel Aviv“ – so die Selbstdarstellung – muß schließlich den gerade revitalisierten Konkurrenten „MTV Asia“ in Schach halten. Und sei es durch opulente Messepräsenz mit Designerstand und allgegenwärtigem Monitorengeflacker. „Channel V“ hat nicht nur eine ähnliche Eignerstruktur wie das deutsche Pendant „Viva“, sondern baut ebenfalls – im Gegensatz zu MTV – auf die regionale Identifikation über Moderatoren und Musik. In jedem größeren Einzelmarkt sendet man – zumindest stundenweise – in der jeweiligen Landessprache. Die VJs sprechen neben Englisch auch Kantonesisch, Mandarin, Hindi oder Thailändisch. „Für uns ist es immens wichtig“, sagt der Exilaustralier Atyeo, „der Welt zu zeigen, welch ungeheures Potential in der Vielfalt des asiatisch-pazifischen Raums steckt“.

Gigantomanie versus feine Unterschiede

Ein Anliegen, womit er offene Türen einrennt. Längst hat der Run auf die größte und bevölkerungsreichste Wachstumsregion der Welt auch die Tonträgerbranche erfaßt. „Asia-Pacific“ oder schnittig kurz „SEA“ (South East Asia), jenes künstliche Vertriebsregionengebilde von Japan über China und Taiwan bis hinunter nach Australien, ist auch bei Lizenzdealern und Popmanagern schwer angesagt. Daß dabei kulturelle und ökonomische Unterschiede erst einmal hinter grob-gigantomanen Betrachtungen zurückbleiben, stört nicht. Es geht um die Vermittlung von (geschäftlichen) Visionen. Und da macht die panasiatische Dimension einfach mehr her. Auch die „MidemAsia“ hat ihre Standfläche mit der Ankündigung, Kontakte und Einblicke in die „größte Wachstumsregion der Welt“ zu vermitteln, vom Start weg ausverkauft. „The race has just begun“, verkündet die US-Plattenfirma MCA auf der Rückseite des Midem-Magazins und bringt die allgemeine Goldgräberstimmung auf den Punkt. Während Time Warner im „Billboard“ eher gediegen auf eine 25jährige Aufbauarbeit vor Ort verweist, bejubelt Thorn EMI ihren Balladenmeister Richard Marx als „top selling male artist in SEA“. In der Theorie geht es um rund eine Milliarde Menschen unter 25, die man mit Popmusik versorgen möchte. In der Praxis geht es vorallem um die Verdrängung der professionellen Raubkopierer, die den Handel mit geistigem Eigentum lange Jahre zur Risikonummer machten und im Falle China versus USA fast zu einem Handelskrieg geführt hätten. „Die Produktpiraterie ist in den letzten Jahren von 35 auf 17 Prozent gefallen. Zu Beginn der Achtziger waren es noch über 50 Prozent!“, verkündet stolz ein Plakat am Stand des indonesischen Schallplattenverbandes. Mag man auch die Überprüfbarkeit solcher Zahlen besonders im Hinblick auf die Marktdominanz der leicht zu duplizierenden Kassetten (98 Prozent in Indonesien, 93 Prozent in Thailand, 92 Prozent auf den Philippinen ...) in Zweifel ziehen, dem positive thinking der Branche tut's keinen Abbruch.

„Kulturimperialismus“ ohne Chance

Die Bertelsmann Musik Group (BMG) hielt beispielsweise einige Tage vor der „AsiaMidem“ ihre weltweite Vertriebstagung in Malaysia ab. Eine Veranstaltung mit Symbolcharakter, denn zum ersten Mal in ihrer Geschichte tagten die Pop-Bertelsmänner in Asien. „Umsatzmäßig hat Südostasien für den Konzern fast die Bedeutung von Deutschland erreicht“, berichtet Achim Fehlau von der Frankfurter BMG-Tochter Logic Records. „Das Repertoire in den einzelnen Ländern – Japan mal außen vor – besteht fast ausschließlich aus nationalen Acts, doch die verkaufen in den Spitzen zwischen einer und 2,5 Millionen Einheiten.“

Vordergründiger, westlicher „Kulturimperialismus“, wie man ihn angesichts der französischen Komplettorganisation auf dem Brückenkopf Hongkong vermuten konnte, hat keine Chance. Pan- Asia in Mikro- und Makrobetrachtungen bestimmen Vorträge und Seminare, über 90 Prozent der rings um die Messe auftretenden Bands und Solisten kommen aus „SEA“. Eine VR-chinesische Sängerin namens DaDaWah mit Texten über die Situation in Tibet und ambitionierter Kate-Bush-Choreographie soll mit tatkräftiger Unterstützung des Warner-Konzerns gar den Sprung ins internationale Geschäft schaffen. „Die haben hier sicherlich Besseres zu tun, als auf unsere tollen Produkte zu warten“, versichern die Brüder Elbertzhagen vom Kick.-Musikverlag, die mit dem Kölner Soul- Sternchen Sandy Reed ungewöhnliche Verkaufserfolge in Japan landen konnten. „Das läuft nur über immensen Einsatz vor Ort. Das kostet Geld und Überzeugungskraft wie in jeder anderen Industrie auch. Gestern wurde in einem Vortrag erzählt, daß Vietnam ein äußerst vielversprechendes Pflaster wäre. Nach unseren Erfahrungen müßte man sofort loslegen, um in sieben, acht Jahren vielleicht erste meßbare Erfolge vorweisen zu können.“ Ohne genaue Kenntnis jedes Einzelmarktes der Mega-Region bleibt „SEA“ ein Hochglanzmythos. Eine statistische Versprechung, mehr nicht. So gestaltet sich die „MidemAsia“ zum Lehrstück der „think-global-act-local“-Strategien der weltumspannenden Unterhaltungskonzerne. „Wir unterscheiden ja nationale, regionale und internationale Acts. Hier investierst du dein Geld hauptsächlich ins sogenannte local repertoire. Trotz Madonna, Simply Red oder Phil Collins sorgen die einheimischen Stars für über 70 Prozent der Umsätze“, weiß Brian Southall von Warner International zu berichten. „Das bedeutet, entweder bestehende Firmen mit eingeführten Acts aufkaufen oder – wie wir es in Korea oder auf den Philippinen gemacht haben – mühsam eigene Strukturen hochziehen.“

Haarschnitt entscheidend

Die Suche nach dem Gegenpol zum Marketing-Zinnober der Musikmesse fällt – zumindest aus der geschäftigen Hongkonger Perspektive – dürftig aus. Grob verallgemeinert betrachtet, dient populäre Musik aus Südostasien der sanften Berieselung. Hongkong überschwemmt die chinesischen Märkte mit sogenanntem Canton- Pop, der als Fließbandprodukt dem Ohr schmeicheln soll und sonst nichts. KünstlerInnen werden nach ihrer niedlichen Erscheinung ausgewählt; für einen späteren Einsatz als Superstar sorgt die Digitaltechnik. „Sie konnte zwar überhaupt nicht singen, entsprach aber hundertprozentig dem Klischee vom netten Mädchen. So wurde jedes Wort einzeln aufgenommen, und unsere Techniker haben es nachher zusammengebastelt“, erinnert sich der Hongkonger Studiobetreiber und Independent-Labelmacher Henry Kwok an eine Begegnung mit dem Canton-Pop-Kollegen. Karaoke erfreut sich grenzübergreifender Beliebtheit, und es wimmelt von bizarren Coverversionen anglo-amerikanischer Kuschelhits. „Der Großteil des Repertoires“, so Logic-Mann Fehlau, „liegt im Bereich ,Ich liebe dich, du liebst mich, und wenn wir uns kriegen, ist es gut‘.

Die kritischen Texter, Produzenten oder Singer-Songwriter sind bislang die Ausnahme. Unser

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Entwurf von Jugend- oder Subkultur greift bislang ebenso wenig wie deren Auslegung bürgerlicher Freiheitsrechte. In Malaysia zum Beispiel ist der Haarschnitt noch immer entscheidend für Auftritte in Film und Fernsehen. Da läuft nichts über Kragenlänge!“

Das im Westen über Jahrzehnte ausdifferenzierte Rollenspiel zwischen Pop-Industrie und Pop-Underground ist im asiatisch-pazifischen Raum außer Kraft gesetzt. Bei uns steht „Plattenindustrie“ unter anderem für die maximale Verwertung einer im „Underground“ geborenen künstlerischen Idee. Die damit verbundenen negativen Schlagwörter wie „Ausverkauf“ und „Mainstreamisierung“ sind zwar längst subtileren Mechanismen gewichen, doch die Grobstruktur bleibt bestehen. Wenn Time Warner dagegen versucht, ihre mittlerweile mit Platinschallplatten geschmückten Neo-Punks von Green Day in Singapur, Indonesien oder später mal in der VR China zu „breaken“, liefern sie damit gesellschaftspolitischen Zündstoff. Und sei es nur, daß ein US- Mittelstandskid per CD das „Recht auf Party“ einfordert.

Das massive Vordringen des internationalen Tonträgerhandels in die wirtschaftlich stabilen Länder der Region hat nicht nur die dort eingesessenen „Mom-'n'-Pop- Stores“ in Schwierigkeiten gebracht, sondern auch die einheimischen Pop-Produzenten aufgescheucht. Tower Records, seit zwei Jahren in Taiwan, Hongkong und Singapur vertreten, expandiert weiter. Im Juli eröffnet die Thorn- EMI-Tochter HMW in Hongkong den bislang größten Megastore außerhalb Japans. Plötzlich gibt es eine breit ausdifferenzierte Palette von Techno bis Metal, die Canton- Pop und Coverversionen immer fader erscheinen lassen. Plötzlich sind Profil, Charakter und Persönlichkeit gefragt. Die wirtschaftliche Boomsituation führt – solange Politiker und Militärs mitspielen – zu einer schleichenden, popkulturellen Revolution von oben. Noch sind es die westlich orientierten Kids aus besserem Hause, die das individualistische, westliche Avantgarde-Modell für sich entdecken.

House-Music und Techno finden in Hongkong in Nobelhoteldiscos und in den wenigen Clubs unter englischer oder australischer Führung statt. Noch übernimmt eine Busineß-Veranstaltung wie die „AsiaMidem“ gleichzeitig die Funktion einer „Pop-Documenta“. Die Verwerfungen und Irritationen, die Wünsche und Hoffnungen, die „Channel V“, MTV Asia“, „Warner“ und „Bertelsmann“ jedoch im alltäglichen Leben auslösen werden, sind keineswegs abzusehen.

Offene Konflikte will bei diesem Prozeß niemand eingehen. „Bevor wir Ärger mit staatlichen Stellen bekommen“, erläutert Don Atyeo diplomatisch die soft-pressure-Linie von „Channel V“, „gehen wir bereits bei der Programmgestaltung auf die verschiedenen Befindlichkeiten ein.“

Es geht in erster Linie ums Geldverdienen, gesellschaftliche Nebeneffekte werden bestenfalls mitgenommen. Wir schnell man neben die Spur des pan-asiatischen Pop-Limbos zwischen „Brot und Spiele“ und Jugendrevolte gerät, erfährt noch am selben Abend Midem-Teilnehmer Olaf Finkbeiner vom britischen Plastikhead-Vertrieb. Seine topmodischen, dreiviertellangen Shorts waren dem Türsteher des „JJ“-Clubs im Messehotel „Grand Hyatt“ dann doch zu revolutionär.