Wand und Boden
: Abgesenkter Klassifikationsdrang

■ Kunst in Berlin jetzt: Doig, Twombly, Zott, Salloum

In England zählt er bereits zum harten Kader, in Deutschland ist es seine erste Ausstellung: Peter Doig, ein Künstler aus der unscharfen Zone zwischen Markt und Underground. Daß er vergangenen August sein Londoner Atelier für raveartige „Weekenders“-Shows geöffnet hatte, paßt ebenso zum derzeit britgemäßen Pop-Appeal wie seine eigenen Gemälde, die bis zum 15.7. bei Contemporary Fine Arts gezeigt werden. Doig malt ruhige Landschaftsszenen nach kargen Vorlagenfotos, einsame Nachtangler, Menschen im Schnee auf dem Weg zur Hütte, Eisblumen, Loipen und Ski-Urlaub. So wenig abwegig die Motive in ihrer realistisch geneigten Banalität auch nachgezeichnet sind, von den getröpfelten und in langen Striemen verlaufenen Farben geht ein eigenartiger Sog aus. Mit der Zeit fangen die Dinge nervös an zu flimmern und die Grundtöne brechen aus dem sonst sehr distanziert arrangierten Motiv-Geflecht hervor. Alle Orte verschwimmen in einem Nirgendwo, das sich Schicht für Schicht bis zur Oberfläche des Bildes auftürmt. Doig nennt es den Psychedelia-Effekt, eine Art abstract expressionism on acid. Darin ist er Munchs Romantik des schwelenden Gefühls ebenso nah wie späten Allegorien von Alex Katz.

Di-Fr 12-18.30, Sa 11-15 Uhr; Tauroggener Straße 15.

Den Skulpturen von Cy Twombly merkt man an, daß sie ohne Produktionsdruck entstanden sind. Eine Kunstharzfigur und sechs schmale, luftig-leichte Bronzegüsse, von der Abendsonne patiniert. Schlammige Feldkarren neben grazilen Fächern. Während der Amerikaner nach seinem Rom-Aufenthalt 1987 einen Saal des italienischen Biennale-Pavillons mit großformatig weiß-grün bekrittelten Landschaftsbildern füllen konnte, ist das Arrangement in der Galerie Max Hetzler atmosphärisch viel privater ausgefallen. Jede der zwischen 1978 und 1990 entstandenen Skulpturen erscheint als individueller Ausschnitt des mittlerweile vier Jahrzehnte sich entwickelnden Werkes, dessen Spannung in der Auseinandersetzung um künstlerische Form und die Eigendynamik der Materie liegt. Selbst in der Natur der Dinge findet sich die abstrakt eingeschriebene Signatur Twomblys, fast jeder Guß ist aufgerauht, von Poren übersät und minutiös zerklüftet. Der so gestaltete Gegenstand fügt sich zwar ins idyllische Arkadien, wo Natur nicht anders als Kultur zu denken war – aber es ist auch der beschädigte Traum von einer bäuerlichen Landschaft am Rand der Moderne, in der die Satellitenschüssel bereits erfunden ist.

Bis 22.7., Di-Sa 11-18 Uhr, Zimmerstraße 88.

Im 3. Stock des Glockenturms der Parochialkirche soll man ein leises Knarren vernehmen. Doch es surrt nur ein Lüfter, der den schlecht isolierten Raum trockenhält. Immerhin schadet es der Installation von Gertraud M. Zott nicht – obwohl „Systemimmanente Variationen II“ mit dem Wechsel von feuchtem Boden und trockener Luft spielt. Zott hat 31 Baumschoten der afrikanischen Akazie im nassen Zustand eingegipst und auf mattgrauen Holzplatten ausgelegt. Einmal aufgetrocknet, krümmen sich die bohnenförmigen, bis 75cm langen Fruchthülsen mit ungeheurer Wucht und rollen sich zu Spiralen auf. In der Natur durchlaufen die Schoten diesen Prozeß bei der Vermehrung. Hier nun wird die holzige Schale zum Produzenten eigenwilliger Objekte, die sich in Verbindung mit dem unter Druck auseinanderbrechenden Gips ergeben. Man fühlt sich an Arte-Povera-Fundstücke erinnert, mit denen Jannis Kounellis arbeitet. Doch Zott überläßt das Geschick ganz der Pflanze. Jede Veränderung des Raumklimas formt sich am empfindlich reagierenden Gegenstand ab. Die Schwelle der Kunst zum Leben ist in der gegenstrebigen Fügung von bildhauerisch angeschmiegtem Material und der kaum zu bändigenden Natur bedenklich abgesenkt.

Bis 30.6., Do-So 14-18 Uhr, Klosterstraße 67.

Ob Jayce Salloum mit seiner Installation „Kan ya ma kan / There was and there was not“ im Künstlerhaus Bethanien die Schwelle zwischen Okzident und Orient absenken möchte, scheint fraglich. Der in New York lebende libanesische Video-Macher hat ein Archiv aus abertausend Zetteln, Filmen, historischem Material, Fotoreproduktionen und süßen Bonbon-Mitbringseln aus dem West-Libanon zusammengetragen, das für ihn eine Art „begehbare CD-ROM“ zur heutigen Situation im Palästina-Konflikt darstellt. Kulturanthropologisch korrekt liest er mit Edward B. Said die Dokumente der frühen Kreuzzüge zu Berichten über den Einmarsch der israelischen Armee quer; oder er vergleicht alte Stiche, auf denen westliche Künstler exotische Tiere und verschleierte Menschen bei der Darstellung des Fremden nicht trennen können. Das überbordende Archiv ist in seiner verwinkelten, wühltischartigen Form auch ein Kommentar zum westlichen Klassifikationsdrang. Orientierung bietet vor allem eine durchlaufende Polaroid- Reihe, die Bekannte von Salloum und alltägliche Begebenheiten zeigt. So ist der Schritt zwischen Wohnzimmer und historischem Feld oft nur sehr klein.

Bis 25.6., Di-So 14-19 Uhr, Mariannenplatz 2

Harald Fricke