Zappen, Dämmern, Lügen?

■ Sind wir alle unsere eigenen mündigen Programmdirektoren, oder brauchen wir ein Greenpeace für die Medien gegen "Verseuchung der Ätherwellen"? Eine Diskussion auf dem Hamburger Kirchentag

Die glotzende, stumpfsinnige Fernsehgesellschaft der Zukunft: zappen zwischen mindestens 200 Kanälen, dämmern vor billigen Pornoklamotten und Gewaltexzessen; Lügen und erfundene Scheinwelten auf der Mattscheibe, verkauft als Abbild der Wirklichkeit. Der Mensch entmenscht, unmündig, abhängig. Eine häßliche Zukunftsvision, die, glaubt man manchen Propheten des Multimediazeitalters, so fern schon nicht mehr ist.

Auch beim Evangelischen Kirchentag, in prophetischen Fragen bewandert, scheint man sich ähnliches gedacht zu haben. Eben „Zappen, Dämmern, Lügen. Fernsehen für das Jahr 2000“ hieß eine Diskussionsveranstaltung am Samstag, die, man höre und staune, rund anderthalbtausend Neugierige anzog. Der Tenor war dann aber doch ein anderer, nämlich: Es gibt Hoffnung für die Medienlandschaft. Und: Wir haben es selber in der Hand.

Die Zauberformel gegen den Werteverfall in Print, Funk und Fernsehen lautet: der mündige Bürger. „Ich bin für mich persönlich zuständig. Es ist meine eigene Aufgabe, mich den Scheinheiligkeiten der Medienflut zu erwehren.“ So bekannte sich Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann gleich zu Beginn in seinem Vortrag zur Autonomie: „Ich als mündiger Bürger beanspruche, mein eigener Programmdirektor zu sein.“ Vor allem Jüngere seien heute in der Lage, selbstverantwortlich mit Fernsehen umzugehen, urteilte Leinemann: „Fernsehen verliert das Dämonische. Dieses Potential läßt sich mehren.“

In der folgenden Diskussion kamen dann echte Macher zu Wort. Jobst Plog, Intendant des NDR, nannte, eher pessimistisch, den mündigen Bürger „eine Zielvorstellung“. In einer Gesellschaft, die akzeptiere, „daß zwei bis drei Millionen Kinder am Wochenende vor ,Rammelfilmen‘“ säßen, müßten Grenzen gesetzt werden.

Gerd Schulte-Hillen, Chef des Gruner+Jahr-Verlages (Stern), dagegen warnte vor solch „elitärer Position“. Die Medien seien keine „Erziehungsanstalt der Nation“, man könne sich nur bemühen, „das Interesse der Leser zu treffen“. Mit solcher Umschreibung des Konkurrenzkampfes an den Kiosken begründete er nicht nur die Aufdeckung der Kieler Schubladenaffäre, sondern auch die halbnackte Naomi Campbell auf der Titelseite von TV-Spielfilm. „Die Moral in dieser Gesellschaft ist eine Realität. Die können wir nicht schöner machen.“ Allerdings sollten sich die Anstalten einer Selbstzensur unterziehen und im eigenen Haus für Pluralität sorgen.

Herbert Riehl-Heyse von der Süddeutschen Zeitung sagte dann noch (wenigstens etwas) konkreter, wie man sich gegen die „geistig-moralische Umweltverschmutzung“ in den Medien zur Wehr setzen könne. Er forderte die Journalisten auf, selber eine Art „Greenpeace für die Medien“, so der Titel seines Vortrages, aufzubauen und mit „einem eigenen Schiff gegen die Verseuchung der Ätherwellen“ vorzubeugen. Es gelte, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu schaffen, was Medien dürften und was nicht. Eine unabhängige Kommission, zum Beispiel wie bei den Printmedien der Presserat, doch „mit einigen Zähnen mehr“, solle dann regelmäßig Berichte zur Lage der Medien im Land vorlegen. Die Frage, wie die scharfen Zähne aussehen sollen, blieb offen.

„Nur nicht entmutigen lassen“, redete Riehl-Heyse sich und den Zuhörern gut zu: „Wir dürfen es den Geschäftemachern wenigstens nicht zu leicht machen.“ Und für die nähere Zukunft, ganz im Sinne des Kollegen Jürgen Leinemann: „Gegen Quatsch hilft auch kein Greenpeace, da hilft nur abschalten.“

Den meisten Beifall ernteten an diesem Nachmittag dennoch nicht solche Sätze, sondern der Quotenrenner König Fußball. Ließen es sich die „Zuschaueranwälte“ im Saal doch nicht nehmen – zapp –, die Zwischenergebnisse im Endkampf um die Deutsche Fußballmeisterschaft jeweils brandaktuell zu verkünden. Dann konnte – zapp – die Debatte um Ethik und Mythos in der Fernsehgesellschaft auch gleich weitergehen. Philip Bethge