Genomforschung im großen Stil

Für 400 Millionen Mark läßt die Bundesregierung das menschliche Genom erforschen  ■ Von Hannes Koch

Mit einem bislang einmaligen Programm hofft die Bundesregierung, die internationale Konkurrenzfähigkeit der in Deutschland ansässigen Genomforschung zu verbessern. Das „Bundesförderungsprogramm zur Erforschung des menschlichen Genoms“, das Forschungsminister Jürgen Rüttgers in den nächsten Tagen der Öffentlichkeit präsentiert, stellt bis zu 400 Millionen Mark zur Verfügung. Die Bundesrepublik solle in der Biotechnologie bis zur Jahrhundertwende die „Nummer eins in Europa“ werden, erklärte Rüttgers bei einem Besuch des Heidelberger Krebszentrums.

Das deutsche Genomprogramm ist auf acht Jahre angelegt und soll jährlich bis zu 50 Millionen Mark ausschütten, schlagen die WissenschaftlerInnen Annemarie Poustka, Abteilungsleiterin beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, und Hans Lehrach, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik, vor. Beide waren vom Bundesforschungsministerium beauftragt worden, eine wissenschaftliche Vorstudie für das Programm anzufertigen.

Das Programm zielt darauf ab, den deutschen Anteil an der Erforschung der schätzungsweise 60.000 bis 100.000 menschlichen Gene zu sichern. Ein viel zu kleiner Teil der bislang inklusive ihrer Wirkung identifizierten rund 350 Erbinformationen geht auf das Konto der deutschen Forschung, so die übereinstimmende Meinung des Ministeriums und vieler WissenschaftlerInnen. Der Humangenetiker Karl Sperling von der Freien Universität Berlin etwa schätzt, daß knapp fünfzig Gene mit der neuen Methode der Positionsklonierung gefunden wurden, davon „weniger als zehn“ unter Beteiligung bundesrepublikanischer BiologInnen. Acht oder neun von fünfzig ist eine ganze Menge, könnte man meinen. Doch Sperling findet das „deprimierend“. Und die Heidelberger Genomforscherin Annemarie Poustka möchte „jetzt Daten in großem Stil erzeugen“. Die Erforschung einzelner Gene und ihrer Wirkung schafft die Voraussetzung dafür, später medizinisch anwendbare Verfahren zu entwickeln. Diese lassen sich schließlich patentieren und können durch den Verkauf von Arzneimitteln viel Geld bringen.

Poustka und Lehrach schlagen vor, zwei bis drei Zentren der Genomforschung zu etablieren, und haben vor allem ihre jeweiligen Arbeitsstätten in Heidelberg und Berlin im Auge. In Heidelberg bereitet man bereits die Gründung eines Genomprojekts vor, das aus der Universität, dem Max-Planck- Institut für Medizinische Forschung, dem Europäischen Labor für Molekularbiologie und dem Krebsforschungszentrum bestehen soll. Letzteres beschäftigt sich unter anderem damit, die für das Entstehen von Krebs verantwortlichen Erbanlagen zu identifizieren und ihre Funktionen zu untersuchen.

Besonders am Herzen liegt es den GenetikerInnen, zwei sogenannte „Ressourcencenter“ einzurichten. Diese haben die Aufgabe, „Patientenmaterial“, unter anderem Blut und Gensequenzen, aufzubewahren, um anderen Einrichtungen identisches Ausgangsmaterial für deren Untersuchungen zur Verfügung stellen zu können. Das dient einerseits dazu, doppelte Arbeit bei der Herstellung des Untersuchungsmaterials zu vermeiden, andererseits dazu, die Übertragbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Außerdem werden die Ressourcencenter Datenbanken betreiben, die alle Informationen über die Genomforschung vereinigen, und den beteiligten Arbeitsgruppen zu Verfügung stellen.

Möglicherweise würden die beiden Ressourcencenter tatsächlich in Berlin und Heidelberg angesiedelt, ist aus dem Bonner Forschungsministerium zu hören, doch die eigentliche Forschungsarbeit wolle man auf Arbeitsgruppen an vielen Orten verteilen. Die Bewerbungen der einzelnen Projekte um Fördermittel begutachtet im Auftrag des Ministeriums ein international besetztes Expertengremium, dem der Münchner Genetiker Ernst-Ludwig Winnacker vorsteht. Diese Kommission mit US-amerikanischer, britischer und französischer Beteiligung soll auch sicherstellen, daß die Arbeit in der Bundesrepublik besser in die Koordinationsstrukturen der internationalen Human Genom Organisation (HUGO) eingebunden wird.

Das Bundesförderungsprogramm geht weit über die bisherigen Anstrengungen hinaus. Mit insgesamt rund zehn Millionen Mark fördert das Forschungsministerium zur Zeit noch die genomspezifische Technologieentwicklung. Ein weiteres Programm der deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem Volumen von knapp 20 Millionen ist dieses Jahr erst ausgelaufen.

Obwohl mehrere deutsche Forschergruppen seit längerem schon in dem weltweiten Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms mitarbeiten – einige Forscherteams haben sogar für einzelne Chromosomen Koordinationsfunktionen übernommen –, gilt das von Rüttgers angekündigte Forschungsprogramm als „Start“ für einen deutschen Beitrag zu HUGO. Die 1989 in den USA gegründete Organisation hat mittlerweile über 600 Mitglieder aus rund 40 verschiedenen Ländern. Für die Koordination der Forschungsarbeiten an dem menschlichen Genom hat HUGO neben einigen Regionalbüros offizielle Anlaufstellen in USA, in Großbritannien und in Japan eingerichtet.