„Das haben die Mullahs so gedreht“

Veranstaltung des „Nationalen Widerstandsrates Iran“ / Einreiseverbot für Hauptrednerin  ■ Aus Dortmund Thomas Dreger

Als Mariam Radschavi auf das Publikum zuschreitet, kommt tosender Beifall auf. Dann sieht man ein Rednerpult, daneben eine iranische Fahne mit einem einen Krummsäbel schwingenden Löwen vor aufgehender Sonne – das Emblem des „Nationalen Widerstandsrates Iran“. Die „Präsidentin“ des „Iran von morgen“ und hebt grüßend eine Hand. Das Publikum antwortet mit donnerndem Applaus. Kinder mit „Diesel“-Jacken und Zahnspangen schwenken iranische Fahnen und Portraits von Mariam und ihrem Ehemann Massoud Radschavi. Frauen und Männer skandieren: „Radschavi – Iran! Iran – Radschavi!“, viele mit Tränen in den Augen.

Mariam Radschavis hellblaues Seidenkostüm, ihr gleichfarbiges Kopftuch und ihr blasses, dezent geschminktes Gesicht heben sich unaufdringlich von dem dunkelblauen Hintergrund ab. Die 43jährige hebt die Hände und lächelt herzlich, wie fast immer, wenn Kameras zugegen sind. Auf den ersten Blick wirkt der Auftritt wie eine perfekte Begegnung zwischen einem Star und seinen Fans. Aber bei genauerem Hinsehen merkt man, daß Radschavi gar nicht in die Menge schaut. Sie blickt ein wenig zu tief und könnte so allenfalls die Füße der in den ersten Reihen Sitzenden sehen. Der Grund: Die iranische Oppositionspolitikerin und ihr Publikum befinden sich nicht am gleichen Ort. Die Jubelnden sitzen in der Dortmunder Westfalenhalle, Radschavi ist an einem geheimen Ort in Paris. Ihr Gesicht wird per Satellit auf eine riesige und zwei kleinere Leinwände in Dortmund übertragen.

Den nur mittelbaren Kontakt haben Radschavi und Publikum einer Intervention der iranischen Regierung in Bonn zu verdanken. Eigentlich hätte Radschavi persönlich in Dortmund auftreten sollen. Nach mehreren Telegrammen aus Teheran und Besuchen iranischer Vertreter versagten ihr die deutschen Behörden vier Tage vor der Veranstaltung die Einreise. Begründung: Radschavis Auftreten widerspreche außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Eine letzte Intervention des Widerstandsrates scheiterte wenige Stunden vor der Veranstaltung vor dem Kölner Verwaltungsgericht.

Mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologie ist es den Organisatoren gelungen, der iranischen und der deutschen Regierung ein Schnippchen zu schlagen. Freilich mit hohem finanziellem Aufwand. 400.000 Mark soll das Spektakel in der Westfalenhalle gekostet haben, die bei weitem nicht so gut gefüllt ist, wie von den Veranstaltern gewünscht. Ungeachtet der Tatsache, daß die Halle nur 14.000 Personen faßt, hatten die Organisatoren 20.000 Besucher angekündigt. Die Polizei schätzt 5.000, freundlichere Beobachter knapp 10.000. Trotz Radschavis Abwesenheit werden die BesucherInnen und ihr Gepäck besser durchleuchtet und gefilzt als Flugreisende: Iranische Oppositionelle müssen auch in Dortmund Killerkommandos aus Teheran fürchten.

Das Blumengesteck auf Mariam Radschavis Rednerpult harmoniert mit der floralen Dekoration auf der Bühne: Rot, Grün und Weiß – die Farben der iranischen Flagge. „Im Namen Gottes und im Namen der Freiheit: Wir sind zusammengekommen, entgegen den Bemühungen der Mullahs“, wendet Radschavi sich an ein Publikum, das kaum zu halten ist. Sie habe ihr „Leben der Freiheit gewidmet“, sagt sie und versucht dabei so zu wirken wie eine richtige Staatschefin. „Freiheit ist die Essenz von Fortschritt.“ Diese Freiheit müsse „aber erst gewonnen werden. Männer und Frauen müssen zu den Waffen greifen und bereit sein, ihr Leben zu opfern.“

Vor Radschavis Auftritt hatte Mohammad Mohaddessin in Dortmund das Vorgehen der Bundesregierung gegeißelt. Vor 45 Tagen habe er Bonn über Frau Radschavis Auftritt unterrichtet, berichtet der von den Veranstaltern als zukünftiger iranischer Außenminister gehandelte Mann. Dabei habe es keinerlei Hinweise gegeben, daß Frau Radschavi die Einreise verweigert werden könnte. „Die deutsche Regierung denkt nicht perspektivisch. Sie verbaut sich zukünftige Chancen“, erklärt der 40jährige später im Gespräch. „Die demokratische Zukunft des Iran hat einen Namen, und der heißt Mariam Radschavi.“

Der kleine, bullige Mann mit Schlips und Anzug ist derzeit der außenpolitische Vordenker des Widerstandsrates. Als Berater von Massoud Radschavi verwandelte er die einst linksislamischen Volksmudschaheddin, die beherrschende Organisation im Widerstandsrat, zumindest nach außen in eine prowestliche, gemäßigt islamische Truppe. Sein Programm sei „die islamische Antithese zum Fundamentalismus“, heißt es in der Führungsriege des Widerstandsrates. Freilich mußte dafür ein Teil der Geschichte umgeschreiben werden. So verurteilt Mohaddessin in seinem Buch „Islamischer Fundamentalismus: Die neue globale Bedrohung“ die Geiselnahme in der Teheraner US- Botschaft im Herbst 1979. Er unterschlägt jedoch, daß die Volksmudschaheddin die Aktion damals unterstützten und die Freilassung der Geiseln als „Kapitulation vor dem Imperialismus“ geißelten.

Mariam Radschavi hat eine zweistündige Rede angekündigt. Sie wird umrahmt und einmal unterbrochen von in Dortmund vorgetragener persischer Musik. „Nach Jahrzehnten des Kampfes ist die Frage: Wo stehen wir jetzt?“, ruft sie in ihr Publikum und antwortet gleich selbst: „Die Freiheit ist näher als bisher.“ Dabei hat sie sich so in Rage geredet, daß sekundenlang das Lächeln von ihrem Gesicht verschwunden ist. Radschavi rückt ihr Kopftuch zurück, unter dem – ganz nach den Vorschriften der Mullahs – nie ein Haar herausschaut. „Die islamische Republik kollabiert, überall im Land gibt es Proteste“, erklären die Führungsspitzen des Widerstandsrates, der als einzige Oppositionsgruppe das Wirtschaftsembargo der USA gegen den Iran unterstützt. „In einem oder zwei Jahren wird Mariam Radschavi als Präsidentin in Teheran sein“, beteuert Mohaddessin.

Besucher der Veranstaltung sind da vorsichtiger. „Wann der Iran befreit sein wird, weiß nur Gott“, meint eine aus Stuttgart angereiste Aktivistin, während ihr Mann einen Kinderwagen hin und her schaukelt. „Solange das Regime in Teheran international unterstützt wird, wird es an der Macht bleiben“, erklärt ein vielleicht zwanzigjähriger Mann mit modischer Kurzhaarfrisur und Ring im Ohr. Er sei nach Dortmund gekommen, weil der Widerstandsrat „die größte iranische Oppositionsgruppe“ sei. „Wenn die das Regime nicht stürzen, wer sonst?“ Ein anderer mit halblangen Haaren und Cowboystiefeln pflichtet im bei. Zwar habe er eigentlich für die Volksmudschaheddin nichts übrig, aber immerhin seien die die lautstärkste Opposition gegen die Mullahs. Daß die Hauptrednerin nicht einreisen durfte, hat sein Vertrauen in die Bundesrepublik allerdings getrübt. „Das haben die Mullahs so gedreht. Die deutsche Regierung und die haben ein Geschäft gemacht.“

Kritik an den Volksmudschaheddin gilt in dieser Atmosphäre als inopportun. Das Verbot aus Bonn hat die optisch sehr heterogenen Gäste erst recht auf ihre „Präsidentin“ eingeschworen. Ein Drittel der BesucherInnen, unter denen kaum Deutsche sind, dürfte unter dreißig sein; sie haben die iranische Revolution im Februar 1979 als Kinder erlebt und wissen von der Geschichte der Volksmudschaheddin vor allem von ihren Eltern. Frauen in strengen langen schwarzen Röcken und Jacken mit den roten Kopftüchern der Mudschaheddin, junge Iranerinnen mit offenem Haar und Nasenring, ergraute Funktionäre mit dreiteiligen Anzügen, junge Männer mit T-Shirts und Gel in der Haaren: sie alle sind sich einig, daß Kritik am Widerstandsrat nur von Teheran lanciert worden sein kann.

„Das sind doch alles nur Geschichten!“ ruft erregt ein junger Mann. Angesprochen worden war er auf Berichte von Dissidenten der Bewegung, die behaupteten, in Gefängnissen der Volksmudschaheddin im Irak mißhandelt worden zu sein. Auch der oftmals kritisierte Personenkult um Massoud Radschavi, den Chef der Volksmudschaheddin und des Widerstandsrates, steht hier nicht zur Diskussion. Daß die Organisation wegen ihrer militärischen Allianz mit dem Erzfeind Irak im Iran zeitweilig noch unbeliebter war als die Teheraner Regierung, gilt hier als „Propaganda der Mullahs“. Daß ein langjähriger Anwalt der Organisation, Abdul Karim Lahidschi, Massoud Radschavi inzwischen „Irans Pol Pot“ nennt, wird lieber nicht zur Kenntnis genommen. Die in der iranischen Bevölkerung wegen ihrer offenbar politisch motivierten Ehe in Mißkredit geratene Mariam Radschavi gilt in der Westfalenhalle als die Repräsentantin der iranischen Opposition.

Kritik äußert nur ein rundlicher Mann mit einer dicken Brille – und auch das nur sehr verhalten. In einer Ecke steht er hinter einem Stand. Auf dem Tisch liegen Broschüren, die mit einer Weltkugel versehen sind, vor der Hammer und Sichel sowie eine geballte Faust mit einer Kalaschnikow abgebildet sind. Die „Guerilla Organisation der Volksfedajin Iran“ wolle „die Diktatur des Proletariats“, erklärt er mit einem freundlichen Lächeln. Derzeit sei die Gruppierung im Widerstandsrat integriert, aber „wenn der Iran demokratisch ist, werden wir uns wieder von ihm trennen und unser langfristiges Ziel verfolgen“.

Mariam Radschavi ist zum Schluß ihrer Rede gekommen. „Schahismus und Chomeinismus“ wolle sie abschaffen und „dem Terrorismus weltweit ein Ende setzen“, erklärt sie. Dann skizziert sie in 16 Punkten, wie ein „Iran von morgen“ aussehen werde. Es folgt ein Potpourri von allem, was im Westen gern gehört wird: von völliger Rede- und Pressefreiheit spricht sie; niemand dürfe zu religiösen Bekenntnissen gezwungen werden; die Rechte von Minderheiten müßten akzeptiert werden, die Kurden würden Autonomie genießen; Frauen würden gleichberechtigt sein; internationale Menschenrechtskonventionen würden akzeptiert; mit Ausnahme von Anhängern des Schahs und Chomeinis genössen politische Parteien absolute Freiheit; freie Marktwirtschaft und Privateigentum würden garantiert.

Als Mariam Radschavi ihre Rede beendet, donnert der Applaus, als habe sie gerade in Teheran die Regentschaft übernommen. Niemand in der Halle mag glauben, wovor hier nicht anwesende iranische Oppositionelle warnen. Daß unter Radschavi als Präsidentin flugs die Volksmudschaheddin die Macht übernehmen und ihr altes Programm ausgraben werden. Anstatt Demokratie würden dann die 60 Millionen Iranerinnen eine neue Diktatur erleben. Als die Bildschirme erlöschen, skandieren wieder viele mit Tränen in den Augen: „Iran – Radschavi! Radschavi – Iran!“