Pißspur statt Fettnapf

Selbstbewußt in Potsdam: Die Ausstellungsreihe „Obschon Malerei ...“ zeigt Nicole Eisenman  ■ Von Brigitte Werneburg

Das war eigentlich mein erstes Bild von Nicole Eisenman, bevor ich auch nur einen Blick auf eine ihrer Arbeiten geworfen hatte: Da stand diese alte Dame im hinteren Teil der Jack-Tilton-Galerie in New York vor einem Bild und wollte gar nicht mehr aufhören zu lachen und ihre dicken Goldklunker lachten glitzernd mit.

Ich lachte auch, als ich sah, was sie sah – ein handwerklich sauberes, cooles Genrebild; vom Mann, der morgens aus dem Haus geht, „mit einem großen Ziel, nämlich rechtzeitig ins Büro zu kommen“ (Fernando Pessoa). Liebevoll verabschiedet er sich von Frau und Kind. Das hält sie mit der einen Hand, mit der anderen reicht sie ihm den Hut. Und damit rutscht der Blick auf eine untere Bildebene, von der die Protagonisten nicht das Geringste zu wissen scheinen und auf der Ungeheuerliches geschieht. Denn der Mann hat den Hosenschlitz geöffnet und pißt in den Hut.

„Obschon Malerei ...“ – wie die Ausstellungsreihe heißt, in der Micha Kapinos Nicole Eisenman jetzt nach Potsdam holte –, war das Bild aufregend genug, die leidigen Fragen nach dem Malen, der Selbstthematisierung, dem Zitat, dem Konzept usw. zu erübrigen.

Nicole Eisenman, die kein Hehl daraus macht, lesbisch zu sein, schaut auf den Mann und damit auf die Welt, mit dem frechen, fremden Blick, den die (kleinen) Mädchen noch haben, von denen Jean François Lyotard 1975 meinte, daß sie „wie die Wilden sind“. Die Mädchen, das sind nach Lyotard die „Frauen, die weder Jungfrauen noch Mütter sind“. 1995 kennt sie Greil Marcus als Riot Grrrls und überraschenderweise darf man zu ihnen wohl auch die oben erwähnte, ältere Kunstfreundin rechnen.

Greil Marcus setzte die 29jährige Nicole Eisenman erst kürzlich wegen ihrer Schau im San Francisco Art Institute auf Platz eins seiner Artforum-Kolumne „Real Life Rock Top Ten“. Unter anderem, weil sie der rätselhaften Diana von Poitiers, die ihrer Schwester an die Brustwarze greift, einfach ein „slut“, „Schlampe“ auf den Bauch malte und die Riot Grrrls damit in die Schule von Fontainebleau schickte, wenn man das so sagen darf; die Musik also mit dem Malen bekannt machte. Marcus steuerte noch Beavis und Butt- Head bei, die ein Sheena-Easton- Video anschauen: „Sie macht auf Prince“, sagt Butt-Head. „Und zieht sich wie eine Schlampe an.“ – „Bei Prince ziehen sich alle seine Frauen wie Schlampen an“, sagt Beavis. „Deswegen mag ich ihn“, sagt Butt-Head. „Er hat eben Phantasie.“

Riot Grrrls ist nicht unbedingt ein Begriff des Triumphes. Riot Grrrls geht vor allem als Feminismus-Dementi durch. Feminismus ist Anathema im Kunstbetrieb, der größte Fettnapf, in den man derzeit steigen kann. Riot Grrrls- Schlampen dagegen sind phantastisch, aber haben unmöglich politische Phantasie. So jedenfalls die Annahme, und entsprechend sagt Nicole Eisenman: „Es hat mehr mit Humor zu tun und damit, die ganze Welt zum Thema zu machen – so wie ein Hund sein Zeichen an jedem Hydranten hinterläßt.“ Lieber Pißspur als Fettnapf. Die Duftmarke, die sie an einer Wand der Galerie Mittelstraße 18 in Potsdam hinterlassen hat, riecht nach schwarzweißen Comic-Cartoons voller böser Anekdoten, aber ohne wiederkehrendes Personal, nach mythologischen Burlesken von der Kastrationsangst und nach Fallschirmspringern und Surfern, die dank der raffinierten Aquarellzeichnung barocken Altarbildern entsprungen sein könnten.

Die Assemblage ist typisch schlampenhaft arrangiert. Ein Wust ungerahmter Blätter fügt sich zu einer großen Bildgedankenschleife, die Hardcore-Lesbensex, melancholisch abgestürzte Bargänger, Sport- & Rettungsambulanz, Damen der „Town & Country“-Gesellschaft sowie einen reizenden Mann am Marterpfahl zusammenbindet. Selbstverständlich staffiert Nicole Eisenman ihre Welt mit den Erfahrungen und Bildern ihrer Generation aus, weswegen das bestsellerwürdige Antidepressivum „Prozac“ neben dem Aschenbecher liegt und „Bambi“ zum achtbeinig geflügelten Insekt mutiert. Die Frage, ob das eine die Folge des anderen ist, sei dahingestellt. Eine Fotomontage, die Nicole Eisenman mit einer Gabriele-Henkel-Schleife im Haar, riesige Kulleraugen rollend, vor ihrer Staffelei zeigt, könnte man unter den vielen Zeitschriftenausrissen und Mickey-Mouse- Klebebildchen leicht übersehen. Allerdings endet ihre Bilderschleife über dieser Montage und rückt sie so ins Zentrum. Leicht geschürzte Mädchen, die als Studio Manager, als Sicherheitsdienst und als Malpaletten-Besorgerinnen fungieren, umgeben sie; acht Dollar die Stunde bekommt der Sicherheitsdienst, zwanzig die Studio-Managerin, das steht unter einer Zeichnung daneben, die das Personal aufs Papier bannt: „Eisenmanism“ und „Eisenmanart“ – das ist die Chuzpe der Jewish Princess, das Selbstbewußtsein von Nicole Eisenman.

Tatsächlich kann man ihr, was ihre krude Bilderwelt angeht, nur einen Vorwurf machen – zu präzise zu sehen. Ihr „Heidnisches Guggenheim“ an der Potsdamer Wand zum Beispiel ist eine Hommage an Frank Lloyd Wrights späte Architektur. Denn wie Eisenman die berühmte Spirale nutzt, sich in ihr eine zwar kackbraune, aber fröhliche und sichtlich ausgelassene Menschenorgie lustvoll dahinwälzen zu lassen, das ist schmeichelhaft visioniert.

In Potsdam leider nicht zu sehen, hat Eisenman den Mann am Marterpfahl schon einmal in Matisse' „Der Tanz“ hineingestellt und gezeigt, daß im Kreis der blassen, labbrigen Fruchtgummis, als die Matisse seine Tänzerinnen malt, tatsächlich eine kompositorisch bedenkliche Lücke klafft. Die New Yorkerin weiß nicht nur um die Bedrückung durch große Kunst (und das Museum of Modern Art), sie verfügt auch über die Mittel, das langweilige Zitat zur rasanten Schmähung zu machen: „Mein meistgehaßtes Meisterwerk“, wie eine neue FAZ-Kolumne heißt. Eigentlich eine richtige Schlampen-Kolumne, möchte man mutmaßen, und weiter, daß das Dementi des (Alte-Schule-)Feminismus durch die Riot Grrrls, wenn nicht Triumph, so doch die Rettung im rechten Moment ist.

Bis 2.7., Galerie Mittelstraße 18, 14467 Potsdam