Hoffnung auf Umsatz verflogen

Der günstige Umtauschkurs der Lira reizt Italienurlauber nicht zum Konsumieren: Lieber gar nichts kaufen als den Kursgewinn schmälern  ■ Aus Rom Werner Raith

So schön hatte die Banca d'Italia die Rechnung aufgemacht. Zwar sei die Lira – trotz einer gewissen Erholung nach Verabschiedung des Nachtragshaushalts und der Einigung über die Rentenreform – noch immer nicht ganz gesund. Aber „in den nächsten Monaten kann es nur noch aufwärtsgehen“. Denn: „Wie wir positiv wissen, haben viele Ausländer bereits erhebliche Vorräte an Lire eingetauscht, und diese Menschen werden nun im späten Frühjahr zu uns kommen, unsere Wirtschaft weiter ankurbeln und weitere große Umtausche tätigen.“ Womit die innerhalb von drei Jahren fast auf die Hälfte ihres Werts gesunkene Italo-Währung erneut große Schritte in Richtung Gesundung machen werde.

Pustekuchen, wie inzwischen die ersten Ergebnisse zeigen. Zwar kommen so viele Ausländer ins Land wie noch nie, speziell Deutsche und Schweizer; schon zu Ostern und an Pfingsten wurden alle früheren Rekorde übertroffen, an die zehn Millionen Besucher zählte man in den ersten vier Monaten – gut ein Fünftel des Jahresdurchschnitts –, und der große Urlaub, die Zeit der Schulferien, steht noch bevor. Viele Badeorte und Bergquartiere melden seit Monaten ausverkauft. Doch was die Profis etwa vom Fremdenverkehrsverein unteres Lazio beunruhigt, ist „dieses neue Verhalten der Ausländer“, so ein Sprecher: „Die kommen nicht nur mit erheblich weniger Penunze hier an als erwartet – die kaufen auch kaum etwas.“ Und seither herrscht blanker Katzenjammer in vielen Regionen.

Vollbepackt bis unter den Baldachin mit eigenen Konserven, Getränken und Brot, rücken nicht nur die Kunden eines Campingplatzbesitzers nahe Formia an – auch der Hotelier nebenan war bereits gezwungen, ein Schild am Eingang anzubringen, wonach es „verboten ist, auf den Zimmern zu kochen“. „Zweimal habe ich schon die Feuerwehr rufen müssen, weil die Vorhänge über einem Gaskocher Feuer gefangen haben, und jeden Morgen schaffen die Zimmermädchen Berge von Dosen und Papier weg.“ Sein Restaurant dagegen bleibt leer.

Lange Gesichter auch bei den Banken: In Vorfreude auf prächtige Tauschgewinne und um den Wandel hin zu besseren Dienstleistungen zu zeigen, haben viele Filialen zusätzliche Wechselschalter eingerichtet. Dort sitzen nun meist gähnend die vorübergehend wiedereingestellten Pensionäre und warten, ob doch noch einer „marchi tedeschi“ oder „franchi svizzeri“ in Lire umtauschen will. „Wir hatten für Ostern und Pfingsten einen Tagesdurchschnitt von 200 bis 300 Vorgängen ausgerechnet“, sagt der Leiter einer Filiale der Banca di Roma bei Ostia vor den Toren Roms, „aber es wurden nie mehr als 30 bis 40.“

Mit Sonderangeboten zum Kaufen anregen

Entsprechend unsicher reagieren nun die Händler, die Restaurantbesitzer und Andenkenverkäufer: Preise senken, wie dies eigentlich die Marktökonomie verlangen würde, Kaufanreize schaffen – oder, nach der üblichen, zwar stets kontraproduktiven, aber unausrottbaren Manier vieler Ladenbesitzer, die Preise raufsetzen, so daß der einzelne Vorgang, so er denn zustande kommt, deutlichen Profit abwirft? Tatsächlich scheint sich ein gut Teil der Geschäftsleute wieder mal an letzteres Rezept zu halten; die Preise zogen jedenfalls in den letzten Wochen kräftig an, die Inflationsrate liegt, nach einer Stabilisierung bei gut drei Prozent noch im Februar, nun wieder bei über sechs Prozent. Vergeblich die „Aufklärungskampagne“ des Finanzministeriums, wie man Kunden anlockt: mit „Sonderangeboten und einer Mischkalkulation“. Frustriert registrierten die aufgeklärteren unter den Händlervereinigungen, daß „dieser Appell wohl manchem in die falsche Kehle geraten ist: Die schreiben jetzt halt auf jeden zweiten Posten ,Sonderangebot‘ und meinen, dann läuft's schon. Aber offenbar sind die ausländischen Besucher heute wesentlich preisbewußter als früher und vergleichen intensiv die Preise, obwohl sie sich angesichts des guten Umtauschkurses gerade mal mehr leisten könnten.“

Womit er sicher recht hat. Die Umfrage eines soziologischen Instituts der Universität Rom unter Touristen hat ergeben, daß gerade der günstige Kurs der Lira viele Ausländer nicht zu Großzügigkeit anstachelt, sondern zum Gegenteil: „Die haben“, so ein erstes Resümee der Umfrage, „wohl mehrheitlich die Einstellung: Was ich durch den guten Kurs der Lira profitiere, lass' ich mir auch nicht mehr wegnehmen. Lieber gar nichts kaufen als etwas, was den Umtauschgewinn schmälern könnte.“