Jean-Marie statt Ahmed und Mohammed

Der meteorologisch wie demographisch eher einschläfernde mediterrane Militärhafen Toulon bekommt einen braunen Bürgermeister, der Franzosen „positiv diskriminieren“ möchte  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„On est chez nous“, skandierte die ausgelassene Menschenmenge im Zentrum des südfranzösischen Toulon bis spät in die Nacht. Ihr Slogan – „wir sind zu Hause“ – markierte den Einzug des Kandidaten der rechtsextremen Front National ins Rathaus der 170.000- Einwohner-Stadt: Der Marketingberater und Europaabgeordnete Jean-Marie Chevallier wurde am Sonntag im zweiten Durchgang der Kommunalwahlen mit 37,6 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Sein konservativer Gegner landete auf dem zweiten, der Sozialist auf dem dritten Platz. Ein großkoalitionäres Zusammengehen der demokratischen Parteien gegen die extreme Rechte wie in anderen französischen Städten hatte es in dem großen Militärhafen am Mittelmeer nicht gegeben.

Ähnliche Szenen spielten sich in dem Industriestädtchen Marignane bei Marseille und in der ob ihres Amphitheaters bekannten Festivalstadt Orange ab, wo ebenfalls die Bürgermeisterkandidaten der Front National gesiegt haben. Die Ergebnisse in den drei Städten – die ersten größeren französischen Gemeinden, die nunmehr rechtsextrem regiert werden – überraschten und erschreckten gestern in Paris. Seit dem ersten Wahlgang eine Woche zuvor hatten Politiker beinahe aller Parteien gemeinsam versucht, den Vormarsch der Rechtsextremen zu verhindern. In Vitrolles bei Marseille, wo Bruno Mégret, Chefideologe der Front National, im ersten Wahlgang eine 43-Prozent- Erfolg einheimste, traten zwischen den Wahlgängern sogar der sozialistische und der kommunistische Präsidentschaftskandidat gemeinsam auf, um vor der rechtsextremen Gefahr zu warnen. Tatsächlich gelang es, Mégret an diesem Sonntag auf den zweiten Platz hinter den Sozialisten zu drängen. Aber der Rechtsextreme schaffte immer noch 42 Prozent.

An mehreren Orten zogen Sozialisten auf aussichtslosen Plätzen ihre Kandidatur zurück, um das „demokratische Lager“ zu stärken. Im nordfranzösischen Dreux, wo die Front National seit zwölf Jahren stark ist, wählten so Linke einen Konservativen zum Bürgermeister mit, der unter anderem für die Wiedereinführung der Todesstrafe eintritt. Die solcherart an ihrem Wahlsieg gehinderte Rechtsextreme Marie-France Stirbois durfte am Wahlabend im Fernsehen sagen, Dreux werde bald von „Ahmed und Mohammed“ regiert. Das insgesamt gute Abschneiden der Front National bei den Kommunalwahlen, zu denen sie aus Personalmangel längst nicht überall Kandidaten aufgestellt hatte, verschafft ihr nun Zugang zu zahlreichen Stadtratsversammlungen. Nun kann sie im Herbst auch Kandidaten für den französischen Senat lancieren.

Der erste Laborversuch rechtsextremer Kommunalpolitik in einer Großstadt wird nun mit Toulon eine ob ihres milden Klimas bei zahlungskräftigen Rentnern beliebte Stadt, von der aus traditionell die Marine in See sticht. Bereits vor einem Jahr, nach dem Mord an der konservativen Lokalpolitikerin Yann Piat, überraschte die Front National dort mit einem guten Abschneiden bei den Kantonalwahlen. Der jetzt gewählte Bürgermeister Chevallier sammelt bereits seit sechs Jahren Erfahrungen im Stadtrat. „Wir werden nichts Illegales machen“, versicherte er nach seiner Wahl. „Eine Stadt ist kein unabhängiger Staat.“ Vom üblichen Standard ist Chevalliers Programm, wie das der übrigen Front-National-Politiker, dennoch weit entfernt. Unter anderem strebt er eine positive Diskriminierung von ethnischen Franzosen an: Bei der Vergabe von Wohnungen und anderen Sozialleistungen soll grundsätzlich die „nationale Präferenz“ gelten, versprach er. Wie er das durchsetzen will, ist rätselhaft. Schließlich hat die Mehrheit der Immigranten in Frankreich die französische Staatsangehörigkeit. Schlicht verfassungswidrig ist ein anderes Vorhaben, das Chevallier im Wahlkampf ankündigte: Die Einführung von nach Herkunft getrennten Schulklassen.