„Sind wir zwei nicht genug?“

Vierzigtonner, enge Straßen und die Arbeiter von der Baustelle. Im Münsterland haben LKW-Fahrerinnen sich als „Highway-Sisters“ zusammengetan  ■ Von Karin Flothmann

Auf Tour gehen sie immer zu zweit, Dagmar hinterm Steuer, Ännie als Beifahrerin. Schon im Alter von acht Wochen war Ännie mit auf der Straße, tagelang. Wenn Dagmar ihren Lastzug nachts auf eine Raststätte fuhr und sich ein paar Stunden Schlaf holte, hielt Ännie Wache. Heute fährt die 28jährige mit ihrem Futtermittelzug und der Zwergdackeldame Tagestouren nach Holland. Ännie rollt sich in der Schlafkoje zusammen und erwacht erst beim Geräusch der Handbremse.

Dagmar Robert ist von Beruf Truckerin. Genau wie Silvia, Ulla, Carola oder Michaela. Jeden ersten Samstag im Monat treffen sie sich in Michaelas Kneipe, dem „Roadhouse“ in Raesfeld bei Münster. Wenn die Truppe auftaucht, verzieht sich Michaelas Mann hinter den Tresen. Mal sind sie fünf, mal zwanzig, manchmal kommen die Männer mit. Michaela Kirchhof hatte die Idee, die „Highway Sisters“ zu gründen – und die kleine kräftige Frau ist die Chefin der „Ladies“: „So 'n Emanzenclub sind wir nicht! Uns geht's darum, die Arbeitsbedingungen von uns Frauen zu verbessern.“

Bis bis zum letzten Jahr gab es noch einen Gesundheits-TÜV nur für LKW-Fahrerinnen. Alle 18 Monate mußten sich die Frauen untersuchen lassen, ob sie körperlich und psychisch in der Lage wären, einen Achtzehntonner zu fahren. „Die Ärzte wußten nie, was sie mit uns machen sollten. Die untersuchten unsere Kniereflexe“, erinnert sich Michaela. „Und die ÖTV sagte uns nur, Frauen gehören nicht ans Steuer.“ Das Gesetz, das diese Sonderuntersuchung festschrieb, wurde im letzten Herbst ersatzlos gestrichen. Ein Erfolg der 37jährigen und ihrer „Sisters“.

In ihrem früheren Leben war Michaela Hotelkauffrau. Seit 13 Jahren arbeitet sie als gelernte Berufskraftfahrerin. Jeden Morgen um sechs holt sie ihren 400-PS-starken Scania vom Fuhrpark des Vaters ab. Verschlafen guckt sie zwar noch, aber mit der ersten Zigarette kommt auch die rauchig-rauhe Stimme wieder auf Touren. Mit zwei Tassen Kaffee im Magen geht's dann los. Zunächst zu einer Recyclinganlage in Letten bei Coesfeld. Betonklötze, Holzbalken und anderer Bauschutt werden hier zu Schotter zerkleinert. Aus diesem Schotter sind Deutschlands Straßen. Michaela bugsiert ihr Auto auf die Fahrzeugwaage – Leergewicht 17,5 Tonnen. Es ist halb sieben, noch nichts los auf dem Platz. Der Baggerfahrer guckt mißmutig. Mit lässiger Eleganz kutschiert die Truckerin den Wagen rückwärts an die Schutthalde heran. „Na, Mäxchen, nu mach schon“, knurrt sie dabei. Der Baggerfahrer kippt vier Schaufeln Schotter auf den Anhänger. Viermal ruckt es kräftig durch die Kabine. Anschließend bringt „Mäxchen“ 40 Tonnen auf die Waage.

Über enge Wirtschaftswege geht es weiter. Nach einigen Kilometern schlägt Michaela an einer Wegkreuzung rückwärts in die Zufahrt zur Straßenbaustelle ein. Der letzte Kilometer wird im Rückwärtsgang zurückgelegt, später gibt's keine Wendemöglichkeit mehr. Der Weg ist nur wenig breiter als der Vierzigtonner. Michaela ist völlig entspannt: „Das ist Fingerspitzengefühl. Du mußt nur in die Spiegel gucken, ob das Auto irgendwo ausschert.“ Bei den Arbeitern vom Straßenbau sind ihre Fahrkünste bekannt. „Die fährt noch mit 80 sicher rückwärts“, meint einer anerkennend. Michaela läßt den Anhänger hochfahren, und der Schotter kippt genau dorthin, wo die Arbeiter ihn haben wollen. Zum Abschied wirft die Truckerin ihnen eine Kußhand zu.

Vor 13 Jahren war das mit den „Jungs“ vom Straßenbau und den Kollegen auf der Straße noch nicht so easy. Immer wenn Michaela bei ihren ersten Fahrten auf einer bestimmten Halde auftauchte, stellten sich einige Typen vor ihrer Windschutzscheibe auf und „pinkelten demonstrativ in meine Richtung. Aber rumpöbeln hätt‘ nichts gebracht.“ Eines Tages zückte sie dann gut vorbereitet ihre Schilder. „Wie beim Eiskunstlaufen hab' ich Noten verteilt, mal 'ne Eins, mal nur 'ne Null. Mal nur den Daumen runter. Danach war Schluß, dann hörte es auf.“

Was Männer an jedem Baum ablassen, sorgt bei Michaela für Blasendruck. „Auf diese versyphten Parkplatz-Klos kriegen mich keine zehn Pferde.“ Da schlägt sie sich lieber in die Büsche. Doch vorher muß immer ein Abstellplatz für den meterlangen Lastzug her. Woher den nehmen, wenn die Tour über enge Wirtschaftswege im Westfälischen führt?

Fünf Fuhren Schotter fährt Michaela vom Recyclingplatz zur Straßenbaustelle. Gegen zehn dann gibt's erst mal Frühstück. Kaum ist der Lastzug auf dem Platz am Haus ihrer Eltern abgestellt, kommt Ken angerannt. Michaela strahlt. Stürmisch begrüßt sie ihren Sohn und tobt mit ihm herum. Seit seiner Geburt lebt der Vierjährige unter der Woche bei Oma und Opa, übers Wochenende bei seinen Eltern. Als es nach einer Stunde Pause wieder losgeht, will unbedingt Ken mit. Seine letzte Waffe sind Tränen und Geschrei.

„Puh, das Theater kann ich nicht ab!“ Michaela stöhnt auf, als sie wieder in ihrem Lastzug sitzt. In der Windschutzscheibe ihrer Fahrerkabine hängen zwei kennzeichengroße Schilder: MICHAELA steht auf dem einen, KEN auf dem anderen. Im Dunkeln leuchten die Buchstaben rot. Gleich nach der Geburt von Ken setzte sich Michaela wieder hinters Lenkrad. „Ich hab' noch acht Monate gestillt, kein Problem. Die haben mich von zu Haus aus angerufen – komm, mach zu, er hat Hunger –, und dann bin ich vorbeigefahren.“ Auch im achten Monat fuhr Michaela noch. Da überführte sie einen Lastzug von Deutschland nach Ungarn. „Die Grenzer am Brenner haben vielleicht geguckt. Wo ist denn der Fahrer, fragte einer. Da hab' ich nur gesagt: Wieso, sind wir zwei nicht genug?“

Das nächste Ziel ist eine Kiesgrube in der Nähe von Haltern. Eine Fuhre Füllsand ist bestellt. Durch wirbelnden Staub bahnt sich der Truck den Weg zur Lastzugwaage. Mit dem Stadtplan auf dem Lenker fährt Michaela weiter, quer durchs Zentrum von Haltern. Einige Passanten gucken. In der Nähe eines Wohngebiets liegt die Straßenbaustelle. Rohre wurden hier neu verlegt. Nun müssen die Gräben wieder aufgefüllt werden. Als Michaela rückwärts anfahren will, springt das Auto nicht gleich an. „Na ja, Frauen am Steuer!“ höhnt einer der Arbeiter. Die Truckerin pariert prompt: „Irgend 'n blöder Spruch mußte von dir ja noch kommen.“

Die letzte Ladung für heute muß in Hagen abgeholt werden. Kurz bevor es auf die A43 geht, schlängeln sich 15 Autos Wagen für Wagen über eine ampellose Kreuzung. Michaelas Finger trommeln aufs Lenkrad. Rechts ist frei, links ist frei. Der Audi an der Kreuzung schleicht vorwärts. „Wat macht denn die Mutter da!?“ flucht Michaela. „Die braucht ja 'ne Dreiviertelstunde, bis se endlich abgebogen ist!“ Frauen am Steuer sind – solange sie PKW fahren – Michaela ein Graus. „Die schleichen mit 20 durch die Stadt, blinken mal links und dann wieder rechts, furchtbar!“

Die „Ladies“ in ihren beladenen Vierzigtonnern sind da natürlich anders, davon ist Michaela überzeugt. Über LKW-Fahrerinnen gibt es keine Statistik. „So tausend werden's in Deutschland schon sein“, meint ein befreundeter Spediteur. In seinem Fuhrpark arbeiten keine Frauen, „aber nehmen würd' ich sie, wenn sie fahren können.“ Daß viele Firmen Frauen gar nicht erst einstellen, findet er verständlich. „Na ja, da muß man dann ja getrennte Toiletten bauen...“

Michaela haßt solche Vorwände. „Frauen fahren sicherer“, sagt sie. „Die lassen sich nicht bis morgens früh vollaufen und setzen sich dann hinters Steuer.“ Unfälle hat sie – toi, toi, toi – in den 13 Jahren noch nicht gebaut. Einmal, vor einem Jahr, wurde sie auf der Autobahn ohnmächtig. Doch bevor sie zusammensackte, bugsierte sie den Lastzug noch sicher an den Rand einer Ausfahrt.

Im Dolomitwerk in Hagen fährt Michaela das Auto unter eine Ladevorrichtung. Aus eisernen Stutzen wird der Anhänger mit Kalksandstein gefüllt. Ein Landschaftsplaner im Münsterland hat 20 Tonnen bestellt. Auf der Autobahn ist Feierabendverkehr. Tät's jetzt der CB-Funk, könnte sie von Kollegen was über Staus erfahren. Oder über Polizeifallen. Per Funk kann frau aber auch ihre Überraschungen erleben. „Einmal brüllte einer sofort los: Ey, du alte Fotze! Was willst du hier auf der Straße. Du nimmst Männern die Arbeitsplätze weg!“ Michaela blieb cool. „Aber Kollegen, die mich kannten, haben über Funk losgelegt und den zur Sau gemacht!“ grinst sie.

Um halb fünf sind die Touren geschafft. Doch bis Michaela nach Hause kommt, wird es neun. Erst der Termin in der Werkstatt, und der zieht sich heute hin. Dann die Autowäsche. Und mal was essen.

Als Michaela endlich nach Hause kommt, klingelt das Telefon. Dagmar von den „Highway Sisters“ ist dran. Auf der „Top '95“, der Düsseldorfer Frauenmesse, sollen sie im Juli mit eigenen Trucks auffahren. Außerdem wollen die „Ladies“ von 26. bis 27. August ein Trucker-Festival auf einem Acker bei Raesfeld ausrichten. Michaela besorgt also Sponsoren für das Festival und telefoniert rum, welche Country-Gruppen umsonst auftreten würden; sie besorgt Unterkünfte für einen Filmemacher aus Potsdam, der eine Serie über LKW-Frauen dreht, und muß am nächsten Morgen wieder um sechs auf dem Fuhrplatz sein.

Silvia macht es andersherum. Sie schläft tagsüber und fährt nachts. Seit einem Jahr liefert sie Sendungen für den Deutschen Paketdienst aus. Früher war Silvia Hilfsarbeiterin in einer Fabrik. „So könnt' ich nie wieder arbeiten“, meint die 23jährige überzeugt. „Da biste von allen Seiten von Mauern eingeschlossen und tust, was andere sagen. Auf der Straße ist das anders. Da bin ich verantwortlich. Da bin ich mein eigener Herr.“