Welche Religion hat den längsten?

Unter großen Sicherheitsvorkehrungen wird heute in Italien Europas größtes islamisches Gebetshaus eröffnet / Das Minarett durfte nicht höher werden als die Kuppel des Petersdoms  ■ Aus Rom Werner Raith

Mit fremden Religionen haben sich die Römer immer relativ leichtgetan; doch kaum versuchen fremde Kult-Verehrer ihre Riten autonom zu gestalten, beginnen die Probleme. Im Altertum hatten die Besetzer fremder Länder keine Probleme, neue Götter in die heimischen Kulte einzuführen. Religionsfreiheit für Zugezogene wollten die Herren der Welt jedoch nicht gewähren.

Nur selten gelang es Verehrern eines fremden Gottes, sich in Rom Stätten des Gebets zu schaffen. Dann allerdings versuchten sie gelegentlich eine kleine Revanche: Die Kuppel der im vorigen Jahrhundert erbauten Synagoge im ehemaligen jüdischen Ghetto wurde beispielsweise über alle ästhetischen Grenzen hinaus so erhöht, daß sie der verärgerte Papst vom anderen Ufer des Tiber sehen konnte.

Heute wird nun in Rom die erste Moschee eingeweiht, und wieder gab es vorab mächtigen Zoff. Das Minarett sollte ursprünglich weit über 150 Meter hoch werden, höher als die Kuppel des Petersdoms (136 Meter) und über zahlreiche Hügel hinweg von St. Peter aus gut sichtbar. Aber das aus Vertretern von 23 islamischen Ländern bestehende Finanzierungskonsortium ließ sich herunterhandeln, zuerst auf 100, dann auf knapp 40 Meter. Das senkte den Baupreis, der nun mit etwa 70 Millionen Mark angegeben wird. 1984 wurde der Grundstein für die Moschee gelegt. Mit dem Bau wurden die Italiener Paolo Portoghesi und Vittorio Gigliotti betraut, denen prompt ein eklatanter Fehler unterlief: Sie vergaßen, das Gebetshaus nach Mekka auszurichten. Also mußten die Grundmauern wieder abgerissen und der Eingang gedreht werden. Damit bei der Inneneinrichtung nichts schiefgehen konnte, wurde der weiße Marmor aus den toskanischen Carrara-Brüchen zur Weiterverarbeitung nach Saudi-Arabien gebracht. Dessen Königshaus stiftete außerdem die Gebetsteppiche für das 30.000 Quadratmeter umfassende Areal, dessen Gebetsraum 2.000 Gläubigen Platz bieten soll.

Trotz des gestutzten Minaretts ist bei der Leitung der katholischen Kirche keine Zufriedenheit zu verspüren. Der Papst reklamiert, daß nun auch in islamischen Ländern katholische Kirchen gebaut werden sollten. Auch sollen analog zu dem an die Moschee im römischen Norden angeschlossenen Kulturzentrum für die katholische Kirche im Maghreb oder in Asien geräumige Begegnungsstätten gebaut werden. Krach ist also vorprogrammiert.

Die 60.000 Muslime in Rom plagen vor der Eröffnung andere Sorgen: Schon seit 1973, als der damalige Ministerpräsident Giulio Andreotti grünes Licht für den Bau gab, streiten sich diverse Richtungen des Islam nicht nur um die richtige Gestaltung des „Lichtdoms“, wie der durch raffinierte Verglasung leuchtende Innenraum genannt wird: Auch sind in den letzten Jahren Islamisten und liberalere Muslime eher auf dem Kriegspfad denn auf dem Weg der Freude, wenn sie an das Kultzentrum denken. Attentatsdrohungen haben zu einem Höchstmaß an Sicherheitsvorkehrungen geführt. An die dreitausend Polizisten und Geheimagenten sind aufgeboten, um die Einweihung der „Moschee der Versöhung“, wie sie nach Vorgabe der römischen Administration heißen soll, ohne größere Störung vonstatten gehen zu lassen.