Sanssouci
: Vorschlag

■ Heiner-Müller-Text, zerlegt und vertont von Heiner Goebbels

Die Schauspieler versprechen sich, fragen, ob sie den Satz noch einmal wiederholen sollen, kichern, der Text wird von verschiedenen Stimmen in unterschiedlichem Tempo vorgetragen, er wird geschrien, gebrüllt, wiederholt, von anderen Texten überlagert. Der Text ist von Heiner Müller, das Hörstück „Die Befreiung des Prometheus“ von Heiner Goebbels. Hier findet keine Lesung statt, sondern Text wird auseinandergenommen, neu zusammengesetzt, genauso, wie Müller selbst dies mit seinen Texten auf der Bühne tut. Die Klänge, mit denen Goebbels den Text begleitet und zum Teil auch übertönt, reichen von Hardrock- Samples über Synthesizer-Elektronik bis zu Free-Jazz-Zitaten, die nahtlos in eine konventionelle Blaskapellenmusik übergehen können. Goebbels stellt hier eigentlich eine Art musikalische Autobiographie her, denn genau hier liegen die Anfänge seiner musikalischen Entwicklung: Seine Mitarbeit im „Sogenannten Linksradikalen Blasorchester“, seine Improvisationskonzerte mit Jazzgrößen wie Fred Frith und Don Cherry und sein Rocktrio „Cassiber“ hat Goebbels erst spät hinter seine Arbeit als Komponist und Regisseur zurückgestellt.

In seiner Bearbeitung von Müllers Text hebt Goebbels den erzählenden Charakter seiner Vorlage nicht auf, sondern durchbricht ihn an einzelnen Stellen, dehnt ihn auf größere Zeiträume aus und verstärkt hierdurch die dramatische Wirkung. Dabei werden einige Textpassagen direkt ausgedeutet: Die Schmerzensschreie von Prometheus werden durch Tenorkoloraturen, Chorglissandi, Babyschreie dargestellt, die Übelkeit des Herakles wird durch Kotzgeräusche, Filmmusik und Ben-Hur-Fanfaren untermalt. Am Ende kulminiert die „Befreiung“ in einer rasanten Collage aus Mahler- und Schostakowitsch-Zitaten, den beliebtesten Hollywood-Melodien und lauten Schlagzeugeinwürfen, bevor Prometheus im vom Band eingespielten Applaus der Menge baden darf. Zum Teil wirken diese Ausdeutungen platt, aber es gibt auch andere Partien, die sich weiter vom Text entfernen oder gar keinen direkten Bezug mehr zu ihm haben.

In der szenischen Fassung seines Hörstücks, die Goebbels auf Vorschlag von Müller angefertigt hat und nun im Hebbel Theater vorstellt, wird er selbst Klavier, Synthesizer und Schlagzeug bedienen, Ernst Stötzner die verschiedenen Textpassagen vortragen, und David Moss ist für die vokalartistischen Einlagen verantwortlich. Goebbels' Hörstücke aus den achtziger Jahren sind in ihrer Freiheit des Umgangs mit vorproduziertem Material oft frischer und überzeugender als seine neueren Instrumentalkompositionen, die sich manchmal zu sehr auf abgegriffene Formeln und voraussehbare dramatische Verläufe zurückziehen. Daher ist „Die Befreiung des Prometheus“, obwohl in der Originalfassung jetzt schon fast zehn Jahre alt, einer seiner besten Arbeiten. Sebastian Claren

„Die Befreiung des Prometheus“ von Heiner Goebbels nach Heiner Müller, 23. bis 25. 6., 20 Uhr, Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg