Das Komische im Faschismus

Karsten Witte hat die Filmkomödie im Dritten Reich untersucht und dabei das Lachen politisiert  ■ Von Michael Kohlstruck

Als „Pfeiffer mit drei ,f‘“ ist Heinz Rühmann in der „Feuerzangenbowle“ zum Liebling der Nation geworden. Für die Beliebtheit dieses Klassikers hat es nach 1945 keine Rolle gespielt, daß der Film 1944 im nationalsozialistischen Deutschland entstanden war. Neben vielen anderen deutschen Filmkomödien mit und ohne Hans Moser oder Theo Lingen gilt „Die Feuerzangenbowle“ als unpolitisch und zeitlos komisch.

Mit seiner Sammlung von Filmessays, die jetzt unter dem Titel „Lachende Erben, Toller Tag“ in einer schönen Edition des jungen Verlags „Vorwerk 8 erschienen ist, stellt Karsten Witte die Filmkomödie in ihren historischen Entstehungszusammenhang. Dazu gehören Flucht und Vertreibung von Filmschauspielern, Regisseuren und Produzenten, die seit 1937 partiell und seit 1942 totale Verstaatlichung der Filmindustrie oder die Integration der Filmproduktion in das System der nationalsozialistischen Propaganda. Modern ist diese Art von Kulturpolitik durch ihre äußere Freiheit von ideologischen Elementen. Goebbels wollte schon 1933 nicht, „daß unsere SA- Männer durch den Film oder über die Bühne marschieren. Sie sollen über die Straße marschieren.“ Und auch nach der Kriegswende von Stalingrad lautete seine Devise: „Mehr Unterhaltung“.

Wittes Studien gehen nun aber weit über eine konventionelle Filmsoziologie hinaus. Das Verhältnis des europäischen zum US- amerikanischen Filmmarkt wird zwar ebenso behandelt wie die äußeren Umstände der Filmproduktion im besetzten Prag. Sein eigentlicher Ansatz folgt aber dem hermeneutischen Programm der älteren Kritischen Theorie. Wie Theodor W. Adorno hat Karsten Witte von Siegfried Kracauer gelernt, eine werkimmanent ansetzende Analyse von Kulturprodukten in zwei Richtungen zu treiben. Seine materialästhetischen Filmbetrachtungen wollen Aufschluß über die latenten ideologischen Botschaften der Unterhaltungsfilme geben und darin zugleich den Geist der Zeit entziffern. „Historiker, die den Faschismus bislang an den wenigen Propagandafilmen ausmachten, sind eingeladen, diesen im Kino des Komischen zu entdecken.“

Eine solche Einheit von zeit- und werkkritischer Hermeneutik verspricht sich gerade von der Analyse der seichten und vermeintlich unpolitischen Unterhaltungsfilmchen besonders viel. Wie für Sigmund Freud die kleinen Begebenheiten des Alltagslebens Symptome und mithin gerade keine Zufälle sind, erklärt Witte die Komödie zu Kronzeugen: „Je realitätsferner ein Film erscheint, desto gehaltvoller an abgesprengter Erfahrung wird er sein.“

Seine Analysen der latenten Sinnstruktur der Filme, im Zentrum die bislang unveröffentlichte Dissertation bei Alexander Kluge, folgen treu diesem Programm einer mikrologischen Hermeneutik. Adorno hatte einst in der Synkope des Jazz einen spätkapitalistischen Initiationsritus entdeckt, dem zufolge jeder zeigen muß, „daß er sich ohne Rest mit der Macht identifiziert, von der er geschlagen wird“. Witte dechiffriert in der Filmkomödie „Der Ammenkönig“ die „emphatische Reduktion des Lebens auf seinen Ursprung: Die Zeugung wird zum allesbeherrschenden élan vital, aus dem allein sich die Herrschaft des Menschen über den Menschen legitimiert. Dieser Vitalismus war der erste Schritt zu einer Politik der ,Bevölkerung‘ (Lebensborn, Mutterkreuz), deren Kehrseite die Politik der Entvölkerung (Krieg, Vernichtungslager) heißen sollte.“

Sicher, nicht aus allen sorgfältig beobachteten Details der rund 50 behandelten Filme wird derart weit ins Allgemeine gesprungen. Solche gewaltigen Denkbewegungen lassen aber einige Probleme einer allzu engen Verbindung von Film- und Gesellschaftskritik sichtbar werden. Der Essay „Wie faschistisch ist die Feuerzangenbowle“, in dessen Titel – wie der Autor sagen würde – „nicht zufällig“ das Fragezeichen fehlt, spricht sie direkt an. Die politische Perspektive auf die als harmlos geltenden Komödien ist hochselektiv. Sie hebt an den Filmen allein das hervor, was sich als eine Entsprechung zu der politischen Entwicklung des Nationalsozialismus verstehen läßt. Ausdrücklich räumt Witte dies auch ein: „Mir ist klar, daß ich damit den Stellenwert der komischen Passagen zugunsten der politischen mindere.“ Die politisierende Hermeneutik stützt ihre Analyse und Kritik der Unterhaltung auf die notgedrungen knappe Schnittmenge zwischen offizieller Ideologie und der rekonstruierten latenten Filmbedeutung.

In den Essays wird diese Blickverengung deutlich, wenn sich die Spielhandlung der Filme um die Auflösung von Familien- und Dorfkonflikten oder ökonomische Konkurrenz durch das energische Auftreten eines starken Mannes dreht. Die alte „Parteienwirtschaft“ und die Pluralität divergierender Interessen werden durch eine neue Einheit von oben beseitigt. Natürlich lassen sich solche filmischen Zwangsvereinheitlichungen mit der Politik des „Ein Reich, ein Volk, ein Führer“ parallelisieren. Doch bleibt bei diesen Analogien das Spezifische von Filmkunst und Politik auf der Strecke.

Die Filmkomödien aber verdanken ihre andauernde Beliebtheit der für den Zuschauer durchaus durchsichtigen Fiktion einer Welt, in der sich Konflikte restlos auflösen und sich regressive Utopien verwirklichen lassen. „Die Feuerzangenbowle“ versteckt und verspricht so wenig wie „Casablanca“. Entgegen der kritischen Absicht, die Totalität des Systems gerade auch in den Unterhaltungsfilmen zu entdecken, droht der Nationalsozialismus um so leichter zu werden, je schwerer „Die Feuerzangenbowle“ genommen wird.

Karsten Witte: „Lachende Erben, Toller Tag. Filmkomödie im Dritten Reich“. Verlag Vorwerk 8, Berlin 1995, 276 Seiten, 48 DM