Konvertiert

■ betr.: „Wahrscheinlich liest wieder kein Schwein“, taz vom 17./18. 6. 95

Lieber Michael Rutschky, Deinen/Ihren Artikel zum Thema „Leserbriefe“ habe ich interessiert, aber mit – ich muß gestehen – recht wenig Gewinn gelesen. Könnte es sein, daß Du/Sie als Schreiber/Autor dich/sich als „Gekränkter/Erniedrigter/Beleidigter zu erkennen geben wollte, der so geduldig die Zumutungen der Massenkommunikation zu ertragen hat die ganze Zeit“? Der Schriftsteller als unverstandene, aber um so beleidigtere Leberwurst – zumindest so ein ganz kleines bißchen?

Egal und sei's drum – durch den Artikel bin ich vom Leserbriefleser zum Leserbriefschreiber konvertiert – und das ist ja immerhin ebbes. Ulrich D. Gewusst, Grafschaft

Ich glaube mich nicht zu überschätzen und habe einen überwiegend biophilen Charakter. Zirka zehn Leserbriefe wurden in meiner aktiven Zeit von 1990 - 1992 in der taz veröffentlicht. Alle wohl etwas narzißtisch (als Energiequelle) – aber moralisch biophil. narzistisch – na gut!

Ihr Artikel als Provokation – find ich gut. Setzen, eins! Aber als Anmache – setzen, sechs! Ein klein wenig sachliche Aussage, wieviel Leserbriefe wohl biophil (ich vermute nicht wenige) und wieviele destruktiv waren, das wäre wohl das mindeste, um den Artikel einen Hauch objektiver werden zu lassen. So ist es eine simple lyrische Abhandlung, Herr alias „Mimosky Rutsch“. E.-Christian Ahrens, Brühl

[...] Ungern gebe ich zu, daß auch mich beim Lesen längerer Zeitungsartikel immer öfter und auch immer ungeduldiger, eher die Lust zum Schreiben als die zum Weiterlesen anwandelt: aber, ich empfinde das eigentlich immer eher als „Antworten“ denn als vernichtenden „Gegenschlag“. Klar, wenn's ans Korrigieren geht, kommt schon mal so was hämisches Besserwissen raus, aber es muß Ihnen doch klar sein, daß zunächst der Autor als Besserwisser erscheint, dank der schlichten Tatsache, daß er veröffentlicht ist, die Zensur des zuständigen Redakteurs passiert hat etc.

Ich meine, die Schieflage zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung kann man einfach als tendenziell undemokratisch empfinden, Ihr Konstrukt von einer narzistischen Kränkung des Lesers kommt mir etwas merkwürdig vor, aber geschenkt: zarte Seelen gibt es reichlich, innerhalb und außerhalb der Redaktionsstube.

Gerade jetzt, wo ich die Seite zuende gelesen habe, merke ich, daß Sie in fast allem und letztlich recht haben: es geht um den „imaginären Kampf um Kommunikationschancen“.

Aber warum beschweren Sie sich dann so ausführlich, detailiert und wiederholt über die Kränkungen, die Sie erfahren haben: man ist gemein zu Ihnen, liest Ihre Artikel nicht zu Ende, will gar den jeweils eigenen Text „an die Stelle des Ihren setzen“! Man möchte meinen, das wäre doch das eigentliche Thema Ihres Aufsatzes. Aber wie Sie Beschwerde führen, ist dann doch wieder gut: Wasser auf die Mühlwerke der unprofessionellen Schreibmaschinen! Waldo Ellwanger, Berlin