Durchs Dröhnland
: Vom offensiven Gebrauch des Wörtchens „Blues“

■ Die besten und schlechtesten, wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Da bewegt sich was im deutschen Untergrund: Wo früher doofer Fun-Punk oder sauberer Könner-Pop seine paar lipstick traces hinterließ, darf man jetzt unter anderem (!) im vielfältig- bunten Koordinatensystem von Hamburger Schule, Braunschweiger HipHop, ausgelutschtem Berliner Funk-Punk-Rap-Crossover oder dem zenfaschistischen, ehemals Kölner Breakbeat- und Homerecording sein U-Boot versenken. Die Düsseldorfer Krombacher MC setzen da mit furiosem Fusionsschnickschnack noch einen Punkt mit rein, machen einen auf Soundsystem, powern mit Bläsern, sprechsingen, metallern, rockern und so weiter und so fort. Frische, gnadenlose correctness pure, heißt es mit denen, und wer einfach mal multiinstrumentell und -funktionell an eine Wand gespielt werden will, darf hier sicher auch 'ne Büchse öffnen.

Heute, 22 Uhr, K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Crash Worship produzieren eine Musik, die sich irgendwo im Wunderland von Industrie-Abfall und Ethno-Ritualen zu schaffen macht, ihre Inspiration also aus dem Aufeinandertreffen von (Post-)Moderne und natürlicher Ursprünglichkeit bezieht. Dumpfstumpfe Klänge, Takte und Geräusche moven da umher, atmosphärische Aggregate sind wichtiger als konstruierte Songzusammenhänge. Ein Rave ist ein schlechter Witz gegen das, was die hier machen, mit drei Trommlern, zwei shoutenden Wüterichen und einem Gitarristen. Live wird dieses Set ergänzt durch den Einsatz von – Achtung Archaik! – Feuer, Wasser, Blut und Fleisch. Keine Rede von normalem Gig und in Ruhe einen nehmen – Crash Worship verstehen sich als Performer, die auch das Publikum aktiv miteinbeziehen.

Heute, 21 Uhr, Huxleys jr. Hasenheide 108-114, Neukölln

Diese Woche für das allseits beliebte Fest der Lebenden und Toten zuständig ist Kid Congo Powers, alter Freund und Gitarrenheros aus Tagen, als die Bad Seeds und der Gun Club noch willkommenen Trost spendeten und Kid Congo in grrroßer, erhabener und wütender Manier die Saiten bearbeitete. Vorbei, verweht, vielleicht bald wieder. Momentan heißt seine Spielwiese Congo Norvell, wobei die Expunkerin Sally Norvell das ausgleichende Gesangsgegenüber ist. Nicht anders als bei Congos alten Bands, zu denen auch die Cramps zählen, fühlt man sich beim Hören dieser Songs wie in einem Film auf großer Leinwand: Die Inszenierung ist alles, von wahrem Leben keine Rede. Pathetisch, schmerzvoll, schmalzig, dann wieder rauh, streng und road- movend, wie original aus den Filmpsalmen eines Wim Wenders zitiert. Und dabei ist das zweite Congo Norvell-Album „Music To Remember Him By“ Leuten gewidmet, die Freunde durch Aids verloren haben; was wieder mal zeigt, daß jeder seine eigene Ausdrucksform für die Ab- und Umleitung von Trauer hat.

Sehr crossovernd und stilbrüchig tritt als „Vorgruppe“ noch eine Dame namens Little Annie auf, deren Soundheimat On-U ist, was natürlich Dub, die Mutter aller Remixe, bedeutet. Annie kommt eigentlich aus New York, wäre gern eine von Warhols Stars und Violets geworden, durfte aber nicht rein in die Factory. Also fand sie Ende der Siebziger neben Grace Jones, Eartha Kitt, Billie Holiday auch Punk und ihr eigenes Selbst riesengroß und wurde Kulturgroupie und „Chanteuse“ (was für ein ekliger Ausdruck). Jetzt ist sie bei Adrian Sherwood in London gestrandet, sicher kein schlechter Fluchtpunkt, und was Nocolette für Shut Up And Dance bedeutet, ist sie nun für die On-U-Clique.

Am 24. 6., 21 Uhr, Knaack Club, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Muß ein geiler Typ sein, dieser Roger Manning. Zumindest wenn man seine abgerüsteten, auf Vierspur-Geräten aufgenommenen „Folk“-Songs hört, die die Leute von den Plattenfirmen nicht so nennen dürfen, da man damit zuviel Unheil anrichtete in letzter Zeit. Ist auch mehr eine Art „Talking Blues“, den der Mann mit seinen Liedern macht, ein Geschichtenerzählen am Rande des Wahnsinns, als mal rhythmisiertes, mal völlig asynchrones Assoziationsmäandern. Das ist in den auf Tonträger gebannten lyrics natürlich nicht mehr so nachzuvollziehen, nur noch im offensiven Gebrauch des Wörtchens Blues in allen Titeln. Live ist Manning bestimmt ein Typ für Open- Mike-LiebhaberInnen, aber nicht nur das: Auch die Gitarre von Manning ist so kaputt und verwurstet wie es nur geht, und seine Backband, falls er eine mitbringt, die schludrigst-klappernde, die man sich erträumen kann.

Am 27. 6., 20.30 Uhr, Die Insel, Insel der Jugend, Treptow

Eigentlich wollten die Goats nie in den Wettbewerb der tollsten und neuesten HipHop-Schulen reingezogen werden; leider konnten sie sich kaum dagegen wehren, landeten dann irgendwo zwischen so-called Alternative Rap und strictly groovy HipHop und wurden als ultraschnelldurchlauferhitzender Hype gezündet. Das war ihrem weiteren Werdegang nicht so immens förderlich: Letztens verheizt als Warm-up für die Beastie Boys, dazu mit einem verkannten zweiten Album, das sie durchaus in guter alter, aber auch interessant-sessionmäßiger Form erlebte, konnten die Goats den meisten Freaks nicht mehr ganz so schnell aus den Hosen helfen wie zu Zeiten von „Typical American“. Mit nötigem Abstand darf man sich nun erneut freuen auf eine schweißtreibende und freestylende Show, die nichts gemein hat mit dem meist uninspirierten Treiben amerikanischer HipHoper, sondern ziegenbärtig live ist, mit „echten“ Instrumenten eben, jedoch nie so bös' crossovernd, wie das die falschen Freunde der Funk-Metal-Rap- Crossover-Fraktion gerne hätten.

Am 27. 6., 21 Uhr, Huxleys jr.

Für manche geht's nach Hamburg, da, wo die Schiffe am Hafen warten, manche müssen mit Städten wie Freiburg ihre postpubertierenden Abrechnungen machen. Die fünf Freunde aus HH besingen lieber Paris/Cuxhaven, und wer hier in Sound und Reimunfällen an die Lassie Singers und Tocotronic denkt, liegt richtig: Das Universum ist ähnlich, besteht ebenfalls aus dreckig-speckigen Schlagern und befreit-swingenden, manchmal vermüllten Beatsongs. Cool bleiben ist auch hier die Mutter der Porzellankiste, wo doch sonst so gar niemand weiß, wie es weitergehen soll.

Am 28. 6., 20.30 Uhr, Die Insel Gerrit Bartels