■ Enquetekommission – nicht nur SED-Diktatur verurteilen
: Recht auf Irrtum

Die kritische Aufarbeitung von DDR-Geschichte ist so notwendig wie unvermeidlich. Deshalb stellt sich die SPD-Fraktion der zweiten Enquetekommission zu diesem Gegenstand nicht entgegen.

Regierungsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen werden den Beweis anzutreten haben, daß sie die Kommission parteipolitisch nicht instrumentalisieren wollen. Vor allem kommt es darauf an, daß nicht nur die Verwerflichkeit des DDR-Systems wieder einmal beschrieben, sondern auch die Würde der vielen in diesem System gelebten Leben anerkannt wird. Problematisch wäre – und das bleibt zu befürchten –, wenn zu Recht auf die SED als Hauptverantwortliche hingewiesen wird, dabei aber die Erfolge und Leistungen der Menschen ignoriert werden, die doch unter widrigen Bedingungen erbracht wurden.

Wenn es um den politischen Umgang mit den heute vorhandenen Problemen in Ostdeutschland geht, muß sich die Kommission nicht nur den Folgen von 40 Jahren SED-Diktatur stellen. Bewußtsein, Stimmung und Lage in Ostdeutschland werden inzwischen auch von den Entwicklungen und Erfahrungen der fünf Jahre seit der Einheit geprägt. Die Analyse der Folgen der Diktatur kann nicht mit dem Jahr 1989 enden.

Die Enquetekommission über die SED-Diktatur kann eine andere wichtige Aufgabe wahrnehmen: Westdeutsches und ostdeutsches Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus unterscheiden sich, deshalb geht es jetzt darum, unser Erinnern, unser Gedächtnis zu vereinen. Das vereinigte Deutschland sollte die Souveränität haben, den gesamten Widerstand in den Blick zu nehmen. Manche Opfer des NS-Regimes sind noch immer nicht hinlänglich anerkannt. Das sollten wir jetzt nachholen und zugleich den Opfern der SED-Diktatur eine ebenso lange Wartezeit auf Anerkennung ersparen.

Es gibt kein Recht auf Karrieren und Spitzenpositionen in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik, aber es gibt das Recht, daß niemand wegen seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Art. 3 Satz 3 GG). Deshalb ist es schlimm, daß die von der SPD vorgeschlagene Formulierung: „Politische Überzeugung und Parteimitgliedschaft als solche dürfen im vereinten Deutschland keine Benachteiligung zur Folge haben“, in den Kommissionsauftrag nicht aufgenommen worden ist. Das illustriert den fundamentalen Unterschied zur Mehrheitsmeinung im Bundestag. Ich finde, daß Aufarbeitung nur gelingen kann, wenn den Menschen das Recht auf Irrtum eingeräumt und ihnen nicht immerfort abverlangt wird, alles an ihrem bisherigen Leben verurteilen zu sollen. Wolfgang Thierse

Stellvertretender Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD