Wie eine Spinne im Netz

■ Das Bundeskabinett hat die Überwachung der Mobilfunk- und Mailboxnetze beschlossen / Weitere Zugriffe auf die Datenautobahnen sind geplant

Berlin (taz) – George Orwells magisches Datum 1984 liegt weit hinter uns, dessen Vision einer Kontrolle sämtlicher Kommunikationsstränge rückt allerdings ein Stück näher. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verabschiedete das Bundeskabinett eine neue „Fernmeldeanlagen-Überwachungs-Verordnung“ (FÜV), die seit dem 18. Mai in Kraft ist.

Die neue Verordnung soll nach dem Willen der Bundesregierung eine Überwachungslücke schließen: Auch die bisher als weitgehend abhörsicher geltenden digitalen Mobiltelefonnetze sollen im Rahmen der Strafverfolgung abgehört werden können. Innerhalb eines Jahres müssen die Netzbetreiber nun die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen schaffen. Allerdings begrenzt sich der Überwachungsdrang nicht allein auf die Mobiltelefonnetze. Von der neuen Verordnung betroffen ist nämlich jede Anlage, „die für den öffentlichen Verkehr bestimmt ist“. Und damit gilt die FÜV auch für das ISDN-Netz der Telekom, für das gute alte analoge Telefon (wobei allerdings mangels technischer Möglichkeiten einige Einschränkungen vorgenommen wurden) und für den breiten Bereich der Computer-Mailboxen. Die Bonner Initiative „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ (FIfF) spricht von einer „völlig neuen Qualität beim Abhören“.

Mit der jetzt erlassenen Verordnung wird nicht nur geregelt, daß die Betreibergesellschaften der Mobilfunknetze Abhörmöglichkeiten für die Sicherheitsbehörden schaffen müssen. Festgelegt wird auch, welche Daten und Zusatzinformationen bei einem überwachten Anschluß zu übermitteln sind. Zusätzliche Daten sind dabei die Nummern aller eingehenden und abgehenden Verbindungen (samt mißglückter Versuche), die genutzten Dienste (Rufumleitungen etwa), die benutzten Relaisstationen bei Mobilfunknetzen und die engeren Verbindungsdaten wie Datum, Dauer oder Uhrzeit des Informationsaustausches. Damit werden in Mobilfunknetzen Bewegungsbilder möglich, in Mailboxen die Auswertung der gelesenen Daten und in Kommunikationsnetzen genaue Kommunikationsprofile. Mit der Speicherung all dieser Verbindungsdaten wird zudem der Kreis der erfaßten Personen erheblich ausgeweitet.

Das Kabinett hat den Sicherheitsbehörden einen bequemen Zugang für die gewünschten Daten sichergestellt. Die Betreibergesellschaften sind verpflichtet, für den abgehörten Fernmeldeverkehr genau definierte Datenschnittstellen zur Verfügung zu stellen. Die abgehörten Daten gehen damit vom Betreiber direkt an die jeweilige Sicherheitsbehörde. Bei jedem abgehörten Anschluß wird dazu parallel und automatisch eine Leitung zum „Bedarfsträger“ aufgebaut. Den Netzanbietern ist weiter auferlegt, eine Technik anzubieten, die das parallele Abhören durch mehrere Behörden zuläßt.

Die Möglichkeiten zur Einschränkung des verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnisses werden damit nach Auffassung der FIfF auf einer „qualitativ neuen Basis geregelt“. Daß dies auf dem Wege einer simplen Verordnung durchgesetzt wurde, widerspreche demokratischem Rechtsverständnis. Die Informatiker-Initiative fordert daher, die Überwachungsverordnung neu zu fassen und das Abhören „auf das absolut notwendige Maß“ zu beschränken.

Diese Forderung wird mit dem Hinweis untermauert, daß die Bundesrepublik bei Telefonüberwachungen ohnehin schon „zur Spitzengruppe in Staaten mit demokratischer Staatsverfassung“ gehört. In den letzten Jahren sind in Deutschland in absoluten Zahlen rund doppelt soviele Überwachungsmaßnahmen als in den Vereinigten Staaten durchgeführt worden. Umgerechnet auf das Pro- Kopf-Verhältnis heißt dies: Hierzulande wird sechsmal so häufig mitgehört und mitgeschnitten.

Kritik am Bonner Lausch-Erlaß kommt auch von der Fraktion des Bündnis 90/Die Grünen. Deren postpolitischer Sprecher Manuel Kiper und das Mitglied des Innenausschusses Manfred Such beanstanden zudem weitergehende Überlegungen des Bundesjustizministeriums. Danach sollen künftig auch nichtdeutsche Netzanbieter in die Überwachungspflichten einzubinden. Darüber hinaus sollen bisher nicht-öffentliche Fernmeldeanlagen, wie unternehmenseigene Mailboxen, in das Regelwerk einbezogen werden. Wolfgang Gast