„Parsifal“ im VW Käfer

Agentur, Privattheater und Pension – der Prager Václav Haupt sucht Kontakt zur Berliner Szene und zeigt hier jetzt die „Alfred Story“  ■ Von Tomas Niederberghaus

Zu mitternächtlicher Stunde spielt sich im Prager Burgviertel eine seltsame Szene ab: Václav Haupt und sein Mischlingshund Philipp verlassen das alte Kepler-Haus und setzten sich in den beigefarbenen VW Käfer. Václav öffnet das Schiebedach, Philipp lugt hinaus. Plötzlich tönt aus dem blitzblanken Fahrzeug Wagners „Parsifal“. Václav und Philipp amüsieren sich königlich.

Niemand kennt den Hintergrund dieses höchst merkwürdigen Rituals. Dafür können die Nachbarn die Geschichte vom greisen Gralsritter Gurnemanz inzwischen schon im Schlaf erzählen. Außerdem witzeln sie, sagt Milan, daß Philipp die exklusivste Hundehütte in ganz Prag hat.

So sind sie. Der 51jährige Václav Haupt und sein etwas jüngerer Freund, der tschechische Schauspieler Milan Hein. Und so betreiben sie auch ihr kleines Prager Privattheater. „Alfred Story“ heißt eine der Inszenierungen. Milan Hein und seine Schwester Marta Skarlandtová gastieren damit nun im Theater Forum Kreuzberg. Eine deutsch-englische Version. In dem Kabarett geht es um eine Detektivgeschichte in dem alten, dem jüdischen Prag. Um Menschen. Rabbi Löw, Franz Kafka und David Gans. Um Kultur. Jiddische Lieder und Verse.

Václavs und Milans „Divadlo Ungelt“ war das erste der inzwischen sieben Privattheater in Prag. Anfangs trug die Spielstätte den Titel „Bei den Italienern“ – aufgeführt wurde nämlich in einer Kapelle der italienischen Botschaft. Da der Ambasciatore mittlerweile jedoch nur noch klassische Musik duldet, suchten sich Václav und Milan nun die Räume im Stadtteil Ungelt; im Schatten der gotischen Teinkirche am Altstädter Ring. Also mitten in der einst tschechisch-deutsch-jüdischen Seele, um mit Franz Werfel zu sprechen.

Das Ungelt war im 11. Jahrhundert ein eingefriedetes Fürstengehöft. Kulturelles Zentrum, aber auch Zentrum des internationalen Handels, an dessen Rand stattliche Bürgerhäuser standen. Viele der Außenfassaden werden gerade renoviert. Große Plastikplanen hängen vom Dach herab, erinnern an ein großes Berliner Spektakel.

Im neuen Divadlo Ungelt sieht es nicht minder bizarr aus. Noch stehen kaputte Stühle, ein rostiger Kühlschrank und ein staubiger Spiegel in dem verwinkelten Keller. Doch schon in wenigen Wochen wird der Spielbetrieb wieder aufgenommen. „In diesem Raum gibt es ein Theatercafé“, sagt Milan. Dabei schleicht der Mann mit dem schwarzen Haar und den stechend-blauen Augen wie Mephistopheles durch das schummrig beleuchtete Gewölbe.

„Der Auftakt“, wirbt Václav, „erfolgt mit einem Zwei-Frauen- Stück. Jana Brejchová wird dabei sein.“ Die Schauspielerin, Ex-Frau von Miloš Forman, ist einer der wenigen tschechischen Filmstars, die – wie man so sagt – den internationalen Durchbruch geschafft haben. Im Café werden Autoren lesen, und die in Prag bekannte Svetlana Nelepková wird Chansons von Marlene Dietrich singen. Später sollen zudem weniger bekannte SchauspielerInnen im Ungelt ein Forum erhalten. „Wir denken auch an experimentelles Theater“, sagt Milan, „doch zunächst muß es Kunst sein, die eher gefällt.“

Und natürlich die „Alfred- Story“ als ständige Aufführung. Der Filmregisseur Dušan Klein hat sie inszeniert. Milan sieht sich im Ungelt schon Auge in Auge mit dem Publikum. Rezitiert in dem noch amorphen Ambiente schon mal die ein oder andere Passage. Stellt sich mal schnell in Pose. Eitelkeit eines Schau-Spielers.

„Das Stück möchten wir nicht nur für jüdisches Publikum spielen“, sagt Milan. Er und seine Schwester sind Juden. Lange haben sie darüber geschwiegen. Aber die Wurzeln greifen nicht tief. „Nach 40 Jahren der sogenannten kollektiven Gesellschaft“, sagt Milan, „möchte ich nicht schon wieder zu einer Gruppe gehören.“ Andererseits sehe er die „Alfred Story“ – bei aller ironischen Distanz – auch als jüdisches Kulturgut. Vor der samtenen Revolution sei solch eine Aufführung undenkbar gewesen. Milan spielte bis 1989 im Staatstheater „Redoute“, dessen Intendant Václav Haupt war.

Das Finanzbudget Prager Theater ist nicht groß. Kultusminister Pavel Tigrid greift seit einigen Monaten nur noch zum Rotstift. Und der ist dick. An Subventionen für Privattheater ist gar nicht zu denken. Gleichzeitig nimmt in Prag das kommerziell orientierte Kulturangebot zu. Westliche Medienagenturen organisieren Festivals wie Massenware. Rein tschechische Projekte haben es schwer. Da ist Václav dann schon ganz zufrieden, daß ihm Tigrid und andere namhafte Persönlichkeiten ihren Lieblingssessel für das Divadlo Ungelt überlassen.

Die VIP-Polster, schwärmt er, werden Besucher locken. Václav denkt an internationales Publikum. Damit auch TschechInnen nicht ausbleiben, werden die Preise gestaffelt. Sie zahlen 60 Kronen (3,60 Mark), während der Eintritt für ausländische Gäste bei umgerechnet 18 Mark liegen wird.

Man muß von Leidenschaft schreiben, wenn es um Václav und das Theater Ungelt geht. Sein Wochenendhaus hat er verkauft, um das Projekt realisieren zu können. Mit Milan wohnt er in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert. Ein Teil der Wohnung ist das Büro der Künstleragentur Haupt. Theaterfotos hängen an den Wänden. Eines ist ein Original, das der bekannte tschechische Maler Alfred Mucha aufgenommen hat. „Für das Bild“, sagt Václav, „hat der Ivan Lendl schon viel Geld geboten.“ So etwas dürfe man aber nicht verkaufen. Im Gegenteil. Es sollen noch mehr Fotos werden.

Václav nämlich hat große Pläne. Beispielsweise möchte er eine Theaterbrücke von der Moldau zur Spree schlagen. Schon vor Wochen hat er die freie Berliner Szene angefaxt. Positives Feedback sei gleich vom Theater Forum Kreuzberg gekommen. Ein anderes Theater habe sich als „christliches Haus“ dargestellt, das „an jüdischen Themen nicht interessiert“ sei. Bei ihrem Berlin-Besuch wollen Václav und Milan eine kleine Tour machen. Kontakte knüpfen. Vorstellungen sehen. Etwa im Theater Zerbrochene Fenster. „Eine Partnerbühne“, sagt Václav, „muß zu unserem Repertoire und zu unserer Dramaturgie passen.“

Václav, der Hundenarr, ist ein gewiefter Kulturmanager. Drei tschechische Sponsoren hat er bereits in petto. Und um die Durststrecke zu überwinden, hat er in der Wohnung flugs ein Zimmer zu einer stilvoll eingerichteten Pensionssuite umgemodelt. Aus dem Fenster schaut man in den kleinen Innenhof, auf eine alte Holzbank und jede Menge Blumen. „Das ist unsere Insel“, schwärmt Václav und beleuchtet das italienisch anmutende Außenambiente.

Es wird Nacht in Prag. Philipp beschleicht eine Unruhe. Er lungert bereits am Holztor herum. Dahinter, auf dem Kopfsteinpflaster der kleinen Gasse, steht der VW Käfer. Die Wagner-Kassette ist schon eingelegt.

Die „Alfred Story“, Regie: Dušan Klein, mit Milan Hein und Marta Skarlandtová, 26./27. Juni, 20 Uhr, im Theater Forum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21.

Kontakt: Künstleragentur Haupt, Kapucínská ulice 4, 11800 Praha 1, Tel./Fax: 0042-2-535 181.