Für Spaß ist dann Jojo zuständig

Die andere Art der Touristen-Animation auf Thailands Amüsiermeilen  ■ Von Axel Hannemann

„Waaas? Vier Wochen Urlaub?“ Der blanke Neid stand meinem Gegenüber ins Gesicht geschrieben. Asien? Thailand? In Sekundenbruchteilen wechselte sein Ausdruck in Häme und Verachtung. In Breitwandcolor konnte ich seine Gedanken lesen: Sextourismus, alle 283 Stellungen des Kamasutra in einer Woche, mit drei oder vier Frauen gleichzeitig, Unzucht mit Kindern, Sex mit Hunden, Hühnern, vielleicht noch mit Wassermelonen, Papayas oder Austern. So schnell und so tief war ich noch nie in der Achtung eines Mitmenschen gesunken. „Aber ich fahre doch mit meiner Freundin nach Thailand!“

Jojo arbeitet seit fünf Jahren auf der Bumsmeile von Pa tong als Animiermädchen, von mittags um eins bis nachts um drei. Da Prostitution in Thailand verboten ist, also offiziell nicht existiert, gibt es keine geregelten Arbeitszeiten – weder in Patong noch anderswo.

Patong, auf der paradiesischen Insel Phuket im Süden Thailands, ist ein Zentrum des Sextourismus, bekannt und beliebt von Rostock bis Lindau, von Emden bis Görlitz. Hier wollen der Schnellfick-Proll mit der Dose Beck's in der Hand, der Perverse mit den Extrawünschen oder der 165-Kilo-Mann („Mein Bauch gehört mir“) ihre Problemzone Nr. 1 behandeln lassen. Sex-Service ist neben fritierten Bananen und maßgeschneiderten Anzügen im Angebot. Neben Alice's Restaurant und dem Wiener Schnitzelhaus drängen sich im Zentrum von Patong 99 Freiluftbars, keine größer als 10 Quadratmeter, ausgestattet mit 200-Watt- Anlagen, eine dicht neben der anderen. Das ist der Arbeitsplatz von Jojo und etwa zehn Thaimädchen. Die Musik wabert den ganzen Tag, ohrenbetäubend, fast körperverletzend. Aber wer will denn hier reden? Mann will Spaß.

Für Spaß ist Jojo zuständig. Jojo hat ein goldenes Halsband und springt den fremden Männern auf den Schoß oder an den Hals, versucht ihnen die Brieftasche rauszuziehen oder die Sonnenbrille abzunehmen („Ischa man witzich die Kloine“). Die Kunden sind hin und weg. Jojo findet das überhaupt nicht lustig, mühsam hat man ihr alles beigebracht. Nach erfolgreichem Diebstahl wird die Börse natürlich zurückgegeben, und sie erhält eine Banane. Jojo ist ein Gibbonweibchen und die Attraktion in der Blue Sunshine Bar.

Gibbons sind beliebt bei den Touristen und deshalb begehrt bei Barbesitzern. Gibbons stehen in Thailand unter Naturschutz. Wer ein junges Gibbonäffchen haben will, muß die Gibbonmutter erschießen. Wer das nicht selbst erledigen kann: no problem! Der Preis ist nicht höher als ein paar Mark. Wundert es jemand, daß Gibbons in Thailand fast ausgerottet sind?

Gegenüber auf dem Gehweg muß Samba einen Knicks machen. „Isn't fantastic?“ Eine amerikanische Großmutter will unbedingt ein Foto haben. Kostet was, aber „cheap, cheap, no problem!“. Der Mahout (Treiber) tritt Samba gegen das Schienbein, zupft gleichzeitig am Ohr, will heißen „Rüssel hoch“. Samba ist ein eineinhalbjähriges Elefantenbaby. Ihre Vorfahren waren in der Forstwirtschaft tätig. Für Samba gibt es heute nur noch Jobs im Tourismus. Sambas Augen sind weit aufgerissen, Tränen fließen über seine grauen Wangen. Später, wenn Samba erwachsen ist, wird er Touristen am Strand auf und ab tragen. Seine Onkels und Tanten wurden früher an ausländische Zirkusunternehmen verkauft. Die Chance hat Samba nicht, denn Thaielefanten stehen jetzt auch unter Naturschutz.

Zurück zu Jojo. Sie lebt am Tresen. Die Thaimädchen – wenn sie auf Freier warten – spielen mit ihr, schmusen oder ärgern sie. Jojos Aktionsradius ist durch die Kette – ein Meter im Radius – begrenzt. Die Mädchen, mal lieb, mal böse, suchen mal was zum Kuscheln, mal lassen sie ihre Aggressionen an Jojo aus. Die Kunden kaufen nicht nur Bananen, sie geben gerne mal ein Bier, sie macht dann ganz affige Bewegungen („Spasss musss ssein, gell?“). Doch Jojo ist inzwischen nicht mehr das kleine süße Schmuseäffchen. Jojo kommt in die Pubertät, und da werden Gibbons aggressiv, beißen, spucken, kratzen, werden gefährlich für Menschen. Pubertierende Gibbons sind ätzend für jede Bar. Bald hat Jojo ausgedient.

Ungläubig staunend stehen Einheimische vor den Gibbon-Käfigen im Khao Phra Thaeo National Park im Herzen Phukets, dem letzten Urwaldreservat der Insel. Vor vier Jahren hat hier T.D. Morin, ein amerikanischer Tierfilmer, das „Phuket Gibbon Rehabilitation Project“ gegründet. Ziel dieses Projekts ist es, ehemals domestizierte Gibbons auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Beeindruckt, aber auch ein bißchen verständnislos bestaunen die Thais den finanziellen und personellen Aufwand der blaßhäutigen Langnasen aus Übersee, um die von ihren Besitzern verstoßenen Affen – wie Jojo – in ihren ursprünglichen Lebensraum zurückzuführen.

Tierschützer der „Europe Conservation“ wie Claudine, die Ärztin aus Genf, arbeiten in der Regel vier bis acht Wochen kostenlos. Statt eines Badeurlaubs versorgen sie die Gibbons, führen Touristen oder sammeln Spenden für das Projekt, das von der heimischen Forstbehörde bestenfalls geduldet wird. Immerhin hat der thailändische Staat die unbewohnte Insel Ko Bo Yai für die Ansiedlung der Gibbons zur Verfügung gestellt. Die monogamen Primaten brauchen drei bis sechs Monate, bis sie an ein Leben unter Affen gewöhnt sind.

Jojo, inzwischen sechs Jahre alt, hatte sich nach etwa einem halben Jahr in Rambo verliebt, einen unverschämt gut aussehenden schwarzbehaarten Gibbonmann. Wenn der Nachwuchs kommt, wollen die Tierschützer noch einen Monat warten, bevor sie die junge Familie auf die Insel bringen. Dort werden sie noch einige Wochen gefüttert, denn so ganz selbständig auf eigenen Affenbeinen zu stehen ist für ein Baräffchen gar nicht so einfach. Inzwischen sind es zwölf Gibbonpärchen, die in Freiheit auf Ko Bo Yai leben.

Trotzdem steht das Projekt auf wackeligen Füßen. Ohne Helfer aus Europa läuft nichts. Paten werden gesucht.

Wer das „Gibbon Rehabilitation Project“ unterstützen will, kann für 1.000 Baht (70 Mark) einen Gibbon „adoptieren“. Die Paten erhalten ein Gibbon-T-Shirt, einen Sticker und ein Adoptionszertifikat mit der Geschichte und einem Foto des Gibbons. Die Adresse: Gibbon Rehabilitation Project, Bang Pae Waterfall, Pa Klok, Thalang, Phuket 83110, Thailand; bei Fragen Fax an: Gibbon rehab 06676381065.