■ Mit Fehlkalkulationen auf du und du
: Teure Bahn-Minuten

Berlin (taz) – Der Bundesrechnungshof (BRH) macht die Erfahrung von Kassandra. Seit 1990 hat er immer und immer wieder darauf hingewiesen, daß die ICE-Strecke von Nürnberg nach München aus wirtschaftlichen Gründen über Augsburg und nicht über Ingolstadt geführt werden sollte. Aber Bahn und Verkehrsministerium ignorieren diese Berechnungen konsequent.

Kürzlich hat der BRH jenes Gutachten überprüft, mit dem die Bahn ihre Trassen-Entscheidung begründet. Die öffentlichen Kassengucker weisen darin einen Haufen Rechen- und Additionsfehler nach. So werden die Kosten für einen Tunnel zu niedrig angesetzt und Investitionen, die unabhängig von der jeweiligen Trassenführung sind, lastet der Kostenvoranschlag nur der Augsburg- Strecke an. Summa summarum: Der Preis für die Ingolstadt-Variante muß nach Meinung des BRH tatsächlich mit 3,023 Milliarden Mark veranschlagt werden, während die Augsburg- Strecke nur mit 2,303 Milliarden Mark zu Buche schlagen würde. Noch extremer wird die Differenz, wenn die 250 Millionen Mark für die Untertunnelung des Köschinger Forstes mit einbezogen werden – eine Auflage, die das bayerische Umweltministerium gemacht hat.

Tatsächlich sind die Kosten der Ingolstädter Variante aber noch wesentlich zu niedrig angesetzt. Denn das Gutachten basiert auf dem Kostenniveau von 1989. „Nach aktuellem Preisstand dürfte sich die Preisdifferenz auf knapp zwei Milliarden Mark vergrößert haben“, hat der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Albert Schmidt überschlagen. Und wenn dann auch noch, wie geplant, ein Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank die Strecke „privat“ vorfinanziert, bezahlen die SteuerzahlerInnen nach Schmidts Berechnungen mit Zins und Zinseszinsen letztlich etwa 10 Milliarden Mark. Und wofür das alles? Die Fahrtzeit auf der ausgebauten Strecke über Augsburg wäre gerade elf Minuten länger als auf der Neubaustrecke über Ingolstadt.

Mehrere Bündnisgrüne fordern jetzt, daß sofort alle Planungen gestoppt werden und ein alternatives, dem aktuellen Technikstand angepaßtes Strecken- und Betriebsonzept erarbeitet wird. Denn dank Neigetechnikzügen können Neubaustrecken heute deutlich billiger gebaut werden als noch vor ein paar Jahren. Auch auf die Auslegung der Strecke für schwere Güterzüge könnte verzichtet werden.

Die ParlamentarierInnen fordern zudem, daß auf private Finanzierung ganz verzichtet wird, weil sie im Endeffekt die Steuerkassen viel mehr belasten, als wenn der Bund gleich zahlt. Die Skepsis der Parlamentarier teilt auch Bundesfinanzminister Theo Waigel, der seinen zuständigen Kollegen Matthias Wissmann noch am Donnerstag damit konfrontierte. Annette Jensen