„Die spielen sich à la Taxi Driver auf“

Selbsternannte Kiezcops in Schöneberg im Kampf gegen Dealer und Junkies / „Es geht um die Generation nach uns“, ist ihre Begründung für die Selbstjustiz / Die meisten Anwohner haben Verständnis, wehren sich aber gegen die Bürgerwehr  ■ Von Barbara Bollwahn

Sechs Männer sitzen am Stammtisch in der Eckkneipe „Kupferkanne“ in Schöneberg. Die Steinmetzstraße vor der Tür liegt still in der Dunkelheit. Die sechs Männer, ein Deutscher, ein Kurde, ein Libanese und drei Palästinenser, verbuchen die menschenleere Straße als ihren Erfolg. „Jetzt ist Ruhe“, freuen sie sich. In den letzten Wochen sind sie nachts auf Streife gegangen, um Dealer und Junkies zu vertreiben. Denn in die Steinmetzstraße, die als Fußgängerzone gut geeignet für Drogengeschäfte ist, hatte sich die Drogenszene seit einiger Zeit verlagert.

Auch wenn sich die Truppe am Stammtisch über die „gelungene Abschreckung“ freut, ist für sie das Problem nicht aus der Welt geschafft. „Das geht so nicht weiter“, schimpft Minor, der Palästinenser, der wie die anderen auch in der Gegend aufgewachsen ist. Erst am Vortag habe er drei Spritzen gefunden. Es könne nicht sein, daß Junkies ihre Spritzen an dem Brunnen saubermachen, an dem tagsüber Kinder spielen. Einmal habe einer seiner Neffen mit einer Spritze gespielt und andere Kinder damit gejagt. Mit seiner Sorge um seine 21 Neffen und der Unzufriedenheit mit der Polizei, die nur Strafzettel verteile und obendrein angeblich mit den Dealern zusammenarbeite, rechtfertigen er und seine Freunde die nächtlichen Streifengänge. Im „Vorfeld“ hätten sie „kontinuierlich“ mit der Polizei gesprochen. Als nichts passiert sei, habe man sich gezwungen gesehen, „das selbst in die Hand zu nehmen“.

An Begründungen für ihre Selbstjustiz fehlt es der Truppe nicht: „Wir opfern alle was, daß die junge Generation nicht dreckig aufwachsen muß“, sagt Minor. „Lieber passiert mit uns was als mit unseren Neffen.“ Uwe, der einzige Deutsche in der Runde, ergänzt: „Es geht um die Generation nach uns.“

Zur weiteren Legitimation ihrer nächtlichen Streifzüge erzählen sie, daß Polizisten auf ihre Frage „Was ist, wenn wir die Junkies schlagen?“ geantwortet hätten: „Das sehen wir nicht.“ Das seien gezielte „Irritierungsinformationen“, schimpft Uwe, der selbsternannte „Rechtsexperte“, der behauptet, sich „ganz gut“ mit den Gesetzen auszukennen. „Ich bin dazu da, die Leute unter Kontrolle zu halten“, sagt er.

Als „Sunny“ sagt, daß er bei den Touren einen Stock mitnehme, den er aber nicht benutze, fällt ihm Uwe sofort ins Wort und rückt das Bild wieder zurecht: „Wir hassen Gewalt und sind unbewaffnet“, sagt der schmächtige Mann, der Kampfsport treibt und von seinen Freunden „Killer-Uwe“ genannt wird. „Das schreiben Sie aber nicht“, sagt er. Als „Beweis“ für seine juristischen Kenntnisse zieht er einen „Presseausweis“ aus der Tasche. Der weist ihn als Mitarbeiter der Verwaltung in der Pressestelle des Landtags Brandenburg aus. Dort aber gibt es weder diese Abteilung noch einen Mitarbeiter mit diesem Namen. Uwe, der eigentlich Steinmetz ist, gerät in Erklärungszwang: der Job beim Landtag sei „privat“. Bei Messeveranstaltungen sei er im „politischen Zweig“ tätig.

Auch seine Freunde haben für alles eine Erklärung oder Rechtfertigung. „Wir schlagen die Junkies nicht gern“, betont der Palästinenser „Sunny“. Außerdem würden sie die Drogensüchtigen auch nicht so schlagen, „daß die sterben“. Es könne eben nur nicht sein, daß sie ihre Spritzen herumliegen lassen. Den „Krieg gegen die Dealer“ aber müßte die Polizei führen. „Oder die Polizei gibt uns Waffen“, sagt er, „dann machen wir das.“ Auch Minor gibt zu, daß es nicht ganz ohne Gewalt abgeht. „Ich haue Junkies, die ihre Spritzen liegen lassen.“

In den umliegenden Straßen stehen Spritzenautomaten mit Entsorgungsschächten. Doch da viele Junkies ihre Spritzen dort liegen lassen, wo sie drücken, sind täglich zehn ABM-Kräfte unterwegs und sammeln auf Grünflächen und Spielplätzen Spritzen und Kondome ein. Amtsärztin Brigitte Hoppe vom Gesundheitsamt hat für die Truppe in der Steinmetzstraße kein Verständnis. „Sinnvoller und präventiver“ seien Gespräche mit Junkies. Man müsse auf sie einreden, die Spritzen zu entsorgen. „Es sind Menschen mit einer gewissen Einsicht“, sagt sie. Man müsse sie „ein Stück akzeptieren“, so daß sie leben könnten, ohne andere zu gefährden.

Die Kiezcops dagegen betonen ihre „Opferrolle“. Ein junger Kurde, der sich „Colorgiro“ nennt, klagt, daß er fast seinen Ausbildungsplatz verloren habe, weil er nach den nächtlichen Touren oft unausgeschlafen zur Arbeit gekommen sei. „Wir sind keine Bürgerwehr“, behauptet Uwe. „Wir betreiben Nachbarhilfe. Wir sind hier zusammen aufgewachsen und ziehen das zusammen durch.“

Der Ärger der „Bürgerwehr“ mit der Polizei ist programmiert. Polizeioberwart Wolfgang Marschner hat zwar für den „berechtigten Protest“ der Anwohner Verständnis. „Aber die sollen gefälligst nicht Bürgerwehr laufen“, schimpft er über die Selbstjustiz. Bei konkreten Hinweisen gehe man diesen umgehend nach, aber bei der Szene in der Steinmetzstraße könne nicht von „extremer Verwahrlosung“ in Form von offenem Drogenhandel und Belästigung der Bevölkerung die Rede sein. „Das ist die arabische Kreativität, Märchen zu erzählen“, so Marschner. Mit Platzverweisen oder Gewahrsam und durch den Einsatz verdeckter Ermittler und gezielter uniformierter Präsenz versuche man, „den Wirtschaftskreislauf zwischen Dealern und Junkies permanent zu behindern“ und das Straßenbild einigermaßen sauber zu halten. „Wir können nicht jeden Quadratmeter in Schöneberg-Nord überwachen“, sagt Marschner.

Genau in diese Lücke will die Truppe in der Steinmetzstraße springen. Doch seitdem die Hobby-Kiezcops von privaten Fernsehsendern bedrängt wurden, blutige Jagdszenen auf der Straße nachzuspielen, und die Truppe plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, haben sie die Nase voll: von den Medien, der Polizei und der ganzen Geschichte, wie Minor sagt. Deshalb würden sie jetzt nicht mehr jeden Tag durch den Kiez patrouillieren. „Wir werden immer gefährdeter“, beklagt er sich. „Wir haben unsere Sache getan“, fügt „Sunny“ hinzu. „Den Rest sollen die Behörden machen.“ Uwe brüstet sich, daß sein Telefon nicht mehr stillstehen würde. Anwohner würden ihn anrufen und die nächtlichen Touren befürworten, „weil es ziemlich gewaltfrei abgeht“, wie er sagt.

„Die glauben, anerkannt zu sein“, widerspricht eine Frau am Tresen der angeblichen rückhaltlosen Unterstützung der Anwohner. „Die Jungs brechen Gesetze“. Der Mann an ihrer Seite sagt: „Wir haben permanent Spritzen im Haus. Und die Fixer versuchen, reinzukommen.“ – „Das ist bei uns auch so“, meint die Frau. „Trotzdem ist es scheiße, was die Jungs da machen“. Sie habe Angst vor der Truppe. Ein anderer Mann kann über deren angeblich waffenlosen Einsätze nur lachen. „Colorgiro“ würde seine zwei Pistolen sogar stolz herumzeigen. „Das richtet sich schnell gegen andere Minderheiten, die einfach stören“, befürchtet er.

„Die spielen sich à la Taxi Driver auf“, meint ein anderer. Die Frau wünscht sich „mehr Polizei, die mehr macht“. Eine andere Frau versucht, für ein gewisses Verständnis für die Jungs zu werben. „Als Mutter muß man die auf eine Art verstehen“, sagt sie. Andererseits sagt auch sie, daß eine „Bürgerwehr“ keine Lösung sei. Ein Mann, der sich beklagt, daß er als Schwuler von Deutschen „angefallen“ wird, ist bereit, die „Bürgerwehr“ zu akzeptieren. Unter einer Bedingung: „wenn sie auch Homosexuellen beisteht“. Der türkische Wirt der „Kupferkanne“ sagt, daß es „vom Recht her falsch ist“, was die „Brüder“ machen. Doch „teilweise“ seien sie im Recht. Denn es könne nicht sein, daß viele Dealer nach wenigen Tagen wieder auf freiem Fuß seien.

Als „Killer-Uwe“ und seine Mannen gegen Mitternacht auf die Straße gehen, steht Uwe unter der Straßenlaterne und fühlt sich wie im Rampenlicht: „Wir versauen einigen Großdealern das Geschäft“, sagt er. „Wir wissen, in was für einem Risiko wir uns bewegen. Wir haben wirklich Angst“, fügt der „Spezialist in Rechtsfragen“ hinzu. „Die Gesellschaft und die Polizei zwingen uns dazu“, ergänzt Minor. Jetzt, wo sie mit ihren nächtlichen Touren zumindest die Spielstraße von Dealern und Junkies gesäubert hätten, hätten sie doch einen „kleinen Teil in der Welt erreicht“, meint Uwe. „Das schaffen nur wenige“, verkündet er stolz.