Sauerscharfsuppe mit Unterhaltungsprogramm Von Ralf Sotscheck

Von außen sah der Laden aus wie ein normales China-Restaurant. Aber „Dragon City“ in der Belfaster Botanic Avenue bietet montags und dienstags Unterhaltungsprogramm bis zwei Uhr morgens – Karaoke. Dieses unsägliche japanische Kampfsingen setzt sich auch in Großbritannien und Irland immer mehr durch. Ricky Tusi, der kantonesische Eigentümer des Restaurants, hatte den Fernseher, von dem der Liedtext zur Begleitmusik vom Band abgesungen wird, direkt neben der Küchentür aufgestellt.

Der Kellner, ein spindeldürrer junger Mann mit ebenso dünnem Schnurrbart, plazierte mich genau neben die Zentralheizung, die auf Volldampf lief, obwohl es der bisher wärmste Tag des Jahres war. Das stellte sich jedoch als das kleinere Übel heraus: Ich saß genau unter dem Lautsprecher. Und daraus drangen furchterregende Laute, die der freundlichen Kellnerin eigentlich gar nicht zuzutrauen waren. Danach war die Kassiererin dran. Unglücklicherweise hatte sie den Knopf für den Echoeffekt entdeckt, und so hallte sie mir eine grauenhafte Version von „I Want To Hold Your Hand“ in die Sauerscharfsuppe. Statt sich um mein Hauptgericht zu kümmern, war der Koch nun vom Chef zum Singen abkommandiert worden. Mir schwante Böses: Wenn er genauso kochte, wie er sang, dann gute Nacht. Die zweite Kellnerin paßte sich der allgemeinen Gesangsqualität nahtlos an. Allerdings schien sie Sinn für Humor zu haben, denn sie hatte für ihre Darbietung Melanies „What Have They Done To My Song, Ma“ ausgewählt. Endlich kam der dünne Kellner mit meinem „Sizzling Pork“, machte zu meinem Entsetzen jedoch auf dem Absatz kehrt, stellte das Tablett neben der Küchentür ab und nahm das Mikro. Ich rechnete mit dem Schlimmsten, aber es kam noch ärger. Während „Puppet On The String“ aus der Konserve erklang, sang der Kellner, ohne eine Miene zu verziehen oder gar den Ton zu variieren. Er machte den Eindruck, als lese er den Bericht über die pathologische Untersuchung einer Wasserleiche vor. Wider Erwarten ging das Lied irgendwann zu Ende, und der Kellner servierte mir mein längst nicht mehr „Sizzling Pork“. Ich bat ihn, meine Serviette zu signieren, aber er ignorierte meinen Sarkasmus.

Ein Kellner, zwei Kellnerinnen, der Koch und die Kassiererin: alle ohne einen Funken Musikalität – das ging nicht mit rechten Dingen zu. Die anderen acht Gäste waren ins Gespräch vertieft und taten so, als wäre das bunte Treiben neben der Küchentür völlig normal. Plötzlich dämmerte es mir: „Versteckte Kamera“! Gleich würde Jeremy Beadle – der englische Kurt Felix – aus dem Topf mit chinesischen Reisnudeln springen und ein paar hämische Bemerkungen über mein dummes Gesicht machen. Also riß ich mich zusammen. Das ging freilich nur so lange gut, bis Ricky Tusi selbst zum Mikrofon griff und dem ganzen die Krone aufsetzte. Als er fertig war, sprangen die Angestellten auf und beklatschten ihren Boß frenetisch. Ob das in ihren Arbeitsverträgen steht? Selbst der Koch kam applaudierend aus der Küche gerannt. Ich rutschte seitlich vom Stuhl und wälzte mich unter dem Tisch vor Lachen, als jemand die Tischdecke zur Seite zog. Jeremy Beadle? Nein. Es war der dürre Kellner, der mich fragte, ob ich auch mal singen möchte.