Respekt für Chirac, Rabatt für Major

Beim EU-Gipfel in Cannes nehmen alle Rücksicht auf den angeschlagenen britischen Regierungschef / Zaghafte Bosnien-Initiative / Kleiner Kompromiß zur Europol-Konvention  ■ Aus Cannes Alois Berger

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac will sich Respekt verschaffen. Mit seiner ersten Ankündigung vor einigen Tagen, die französischen Atombombentests wieder aufzunehmen, erntete er bei den EU-Partnern vor allem verhaltene Kritik. Sein zweiter Vorstoß, eine Änderung der Bosnien-Politik, wurde auf dem EU- Gipfel in Cannes dagegen wohlwollend aufgenommen. Die Staats- und Regierungschefs sind froh, daß sich einer der Ihren aufraffte, im ehemaligen Jugoslawien fester aufzutreten. Doch was als Paukenschlag angekündigt war, erwies sich als zaghaftes Tremolo.

Frankreich werde entschlossener als bisher auftreten, tönte Chirac und führte als Beweis die Beteiligung an der britisch-französisch- niederländischen Eingreiftruppe an, „deren letzte Truppenteile jetzt vor Ort eintreffen“. Neu sei vor allem der Wille, sich mit militärischen Mitteln Respekt zu verschaffen. Die französischen Soldaten hätten den klaren Befehl, „immer dann, wenn sie es für notwendig halten, auf Angriffe zu reagieren“.

Auch auf diplomatischer Ebene kündigte Chirac, bis Ende Juli Ratspräsident der Europäischen Union, eine neue Entschlossenheit an. Der neue EU-Vermittler im ehemaligen Jugoslawien, der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, werde mit fünf Missionen nach Bosnien geschickt. Erstens solle er die Beendigung der Belagerung von Sarajevo und insbesondere die sofortige Schaffung eines Korridors für den Landzugang erreichen, zweitens den Dialog mit allen bosnischen Kriegsparteien über den Teilungsplan wieder aufnehmen, drittens einen neuen Vermittlungsversuch in der Kraijna starten, viertens die Verhandlungen über die gegenseitige Anerkennung von Restjugoslawien und Bosnien-Herzegowina erneuern und fünftens einen viermonatigen Waffenstillstand erwirken.

Auf die Frage nach der militärischen Unterstützung für die diplomatischen Missionen des Herrn Bildt ruderte Chirac allerdings gleich wieder zurück. Die Öffnung des Korridors nach Sarajevo etwa könne nur in Verhandlungen erreicht werden. Leicht verklausuliert deutete der französische Staatspräsident an, daß man danach, wenn der Landzugang hergestellt sei, über die militärische Absicherung des offenen Korridors nachdenken werde. Dafür seien allerdings viertausend bis fünftausend weitere Soldaten notwendig.

Ansonsten stand der EU-Gipfel in Cannes weniger im Zeichen der Entschlossenheit als der Rücksichtnahme auf die schwierige Situation des britischen Premierministers John Major. Der Blick richtete sich gespannt nach London, wo am Dienstag kommender Woche der Machtkampf zwischen dem zögerlichen Europäer Major und seinen europafeindlichen Parteikollegen in die entscheidende Runde geht. Aus Furcht, sich künftig mit einem entschiedenen Euroskeptiker als Premierminister herumschlagen zu müssen, vermieden die Staats- und Regierungschefs, Major allzu sehr unter Druck zu setzen. So wurde statt einer Konvention über die gesamteuropäische Polizeibehörde Europol nur ein Kompromiß verabschiedet, nach dem die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes für die Rechtsauslegung ausgeklammert bleibt und erst im nächsten Jahr verabschiedet werden soll.

Bei der Finanzierung der gemeinsamen Entwicklungshilfe räumten sie Großbritannien einen großzügigen Rabatt ein. Dafür gibt es eigentlich keinen Grund – aber Major hatte ausreichend deutlich gemacht, daß er auf keinen Fall mit einer Erhöhung des britischen Beitrages nach Hause kommen dürfe. Obwohl jetzt die EU-Entwicklungshilfe insgesamt von 20 auf 24,5 Milliarden Ecu (knapp 50 Milliarden Mark) angehoben wird, muß London statt der bisher 3,5 Milliarden nur noch rund 3 Milliarden Ecu zahlen.

Die Bundesrepublik zahlt mit knapp 6 Milliarden Ecu (ca. 12 Milliarden Mark) etwas mehr als bisher, bleibt aber weit hinter dem Anteil zurück, der sich aus dem Bruttosozialprodukt ergeben würde. CDU und CSU wollen lieber die nationale Hilfe anheben, weil dort der Nutzen durch Lieferaufträge für die heimische Wirtschaft größer ist.

Bei der Hilfe für die Mittelmeeranrainer von Marokko bis Syrien einigten sich die EU-Regierungen auf 4,7 Milliarden Ecu bis 1999, Mittel- und Osteuropa sollen dagegen knapp 7 Milliarden Ecu bekommen. Damit hat sich die Bundesrepublik gegen Italien und Spanien durchgesetzt, die für die Südpolitik etwa genausoviel gefordert hatten wie für die Ostpolitik.