Hämischer Unterton

■ betr.: „Vom Abendmahl zum Grillfest“, taz vom 15. 6. 95

Der hämische Unterton in Ihrer Berichterstattung wirkte auf mich erschreckend. Fallen Ihnen zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Großereignis, zu dem es in der Republik zur Zeit keinen Vergleich gibt, keine anderen Bemerkungen ein als die: „Alle Einheimischen, die es irgendwie einrichten konnten, haben die Stadt verlassen“? Identifizieren Sie sich vielleicht mit der zunehmenden politischen Interesselosigkeit großer Teile unserer Gesellschaft oder einem zur Mode gewordenen, inhaltsleeren „Individualismus“, der zunehmend in Schickimicki- Kreisen um sich greift, nämlich einer Hochnäsigkeit, daß man mit „Massen“ ja nichts zu tun haben wolle. Mit deren hochgradig gesellschaftlichen, in diesem Fall religiös motivierten Anliegen wohl auch nicht?

„Die armen Hamburger müssen der kirchlichen Besetzung entfliehen“: Ist das Ihre Art, rhetorisch Humor zu zeigen? Interessiert es Sie gar nicht, welche Diskussionen, Initiativen, Streitgespräche, Solidarität mit Randgruppen oder mit den Armen und Vernachlässigten in unserer Gesellschaft auf einem Kirchentag manifestiert werden könnten zum Wohle der Allgemeinheit? Einen Aufruf, sich bei allem kritischen Vorbehalt einmal dazuzugesellen und mitzudenken, bringen Sie nicht über die Lippen beziehungsweise Feder? [...]

Zum Thema „Homosexuelle in der Kirche“ fallen Ihnen nur kontroverse Diskussionen in der Kirche ein – wo nicht würde in einer breiten Gesellschaft kontrovers diskutiert? Dies ist ein Merkmal unserer Demokratie. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß dies die Voraussetzung von Bewußtseinswandel in demokratischen Prozessen ist und schon vielfach zum langfristigen Erfolg geführt hat: bei Umweltgruppen, bei der politischen Linken, in der evangelischen Kirche zum Beispiel. Wo gibt es eine vergleichbare Solidarität Nichtbetroffener mit der diskriminierten Minderheit homosexueller Menschen in unserem Staat? Oder halten Sie es für ausreichend, daß betroffene Bevölkerungsgruppen sich ausschließlich selbst um ihre Rechte und Anerkennung kümmern? [...] Cornelia Strauß, Öffentlich-

keitsreferentin des Kirchen-

kreises Blankenese, Hamburg