■ Was in Südafrika mit dem Ende der Apartheid zum populären Schlagwort geworden ist, hat in den USA nach dreißig Jahren Praxis eine Gegenbewegung mobilisiert: "affirmative action", die gezielte...
: Feldzug gegen "Gleichmacherei"

Was in Südafrika mit dem Ende der Apartheid zum populären Schlagwort geworden ist, hat in den USA nach dreißig Jahren Praxis eine Gegenbewegung mobilisiert: „affirmative action“, die gezielte Bevorzugung bis dahin benachteiligter Bevölkerungsgruppen, hat in den Augen der Mehrheit der Amerikaner zur gezielten Benachteiligung von Weißen geführt

Feldzug gegen „Gleichmacherei“

Die Szene war so anrührend wie befremdlich. 20.000 überwiegend weiße Delegierte auf der Jahresversammlung der „Southern Baptists“, der größten protestantischen Kirche in den USA, verabschiedeten am Dienstag vergangener Woche eine in ihrer Kirchengeschichte einmalige Erklärung: Sie baten Amerikas Schwarze um Verzeihung – für das Unrecht der Sklaverei, für den Rassismus und für die unrühmliche Rolle ihrer Kirche in diesem Kapitel der amerikanischen Geschichte und Gegenwart. Die Southern Baptists hatten sich 1845 als kompromißlose Befürworter der Sklaverei von der Landeskirche der Baptisten abgespalten. In den 50er und 60er Jahren zählten ihre Gemeinden in den Südstaaten zu den hartnäckigsten Gegnern der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. „Wir bitten unsere schwarzen Brüder und Schwestern um Vergebung“, heißt es in der Resolution, „und verpflichten uns, alle Formen des Rassismus in unseren Gemeinden zu tilgen.“ „Wir nehmen Eure Entschuldigung an“, sprach am Ende Pastor Gary Frost, der erste Afroamerikaner, der zum Vizepräsidenten der Kirche gewählt wurde.

Es ist nicht mehr als eine symbolische Geste. Doch in gewisser Weise verhalten sich die Southern Baptists wieder einmal unzeitgemäß. Denn in den USA sinkt die Bereitschaft, die Folgen jahrhundertelanger Diskriminierung durch konkrete Schritte auszugleichen. Nirgendwo wird dieser Stimmungswandel deutlicher als im Streit um „affirmative action“. Was in Südafrika mit dem Ende der Apartheid zum populären Schlagwort geworden ist, hat in den USA eine Gegenbewegung mobilisiert, deren Ziel die Abschaffung sämtlicher Minderheiten fördernder Maßnahmen ist.

Mit dem Begriff affirmative action sind Maßnahmen gemeint, die über das Verbot von Diskriminierung hinausgehen – also Schritte zur gezielten Förderung von Bevölkerungsgruppen, die in der Vergangenheit oder Gegenwart diskriminiert wurden oder werden. Anspruch auf solche Fördermaßnahmen haben vor allem Frauen, Afroamerikaner, Hispanics und Amerikaner asiatischer Abstammung. Affirmative action kann darin bestehen, daß Firmen Stellenauschreibungen gezielt an Frauenuniversitäten oder in afroamerikanischen Zeitungen plazieren. Der Bund vergibt Aufträge nur an Firmen, die einen Zeit- und Zielplan zur Gleichstellung von Frauen und Minderheiten vorlegen oder nachweisen können, daß er bereits umgesetzt worden ist. Universitäten, die Bundesgelder beziehen, müssen solche Bedingungen bei der Vergabe von Studienplätzen erfüllen. Gelegentlich werden Quotenbeschlüsse gefaßt oder verhängt: So verurteilte 1976 ein Gericht das Chicago Police Department, bis auf weiteres 42 Prozent aller offenen Stellen mit Angehörigen von Minderheiten zu besetzen. Der damalige weiße Bürgermeister Daley empfand die Gerichtsentscheidung als „abscheulich für alle Amerikaner“. Allerdings hatte ihn zuvor nie der Umstand erregt, daß seine Behörden durch ein informelles „white boys only“-Netzwerk Schwarze und Frauen gezielt aus ihren Rängen herausgehalten hatten.

Blickt man in die oberen Etagen von Unternehmen, Universitäten oder Behörden, so ist nach 30 Jahren affirmative action wenig Veränderung zu sehen: 95 Prozent aller Managerposten in der Privatwirtschaft sind laut Bericht einer staatlichen Untersuchungskommission mit weißen Männern besetzt. Sie halten, so der schwarze Politiker und Ex-Präsidentschaftsbewerber Jesse Jackson, 80 Prozent aller Lehrstühle inne und über 90 Prozent aller Kongreßsitze.

Trotzdem ist eine Mehrheit der Amerikaner offenbar zu dem Schluß gekommen, daß affirmative action zum Teil des Problems geworden ist, das es zu bekämpfen gilt. So zeigten sich in einer Umfrage der Zeitschrift Newsweek 46 Prozent der Befragten überzeugt, daß die Benachteiligung von Weißen durch Affirmative-action- Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt mittlerweile ein größeres gesellschaftliches Problem darstelle als die anhaltende Diskriminierung von Minderheiten. In einer Umfrage der Washington Post sprachen sich 70 Prozent der Befragten gegen die Förderung von Frauen und Minderheiten bei der Vergabe von Studien- und Arbeitsplätzen zum Ausgleich für vergangene Diskriminierung aus.

Am stärksten ist das Ressentiment gegen affirmative action zweifellos unter den „wütenden, weißen Männern“, denen die Republikaner den Sieg bei den letzten Kongreßwahlen verdanken. Bei ihnen handelt es sich um weiße Männer der unteren und mittleren Einkommensgruppen ohne Uni- Abschluß – Männer also, die sich aufgrund des Abbaus gut bezahlter Arbeitsplätze im Produktionssektor und eines Rückgangs ihrer Reallöhne als Verlierer empfinden in einer Gesellschaft, die sie nach wie vor als Sieger darstellt.

Überrascht hat nun nicht, daß die neue rechte Generation der Republikaner und ihre Präsidentschaftsbewerber diesen Unmut in eine politische Kampagne umgemünzt haben und im Kongreß die Abschaffung von affirmative action durchzusetzen versuchen. Überrascht hat vielmehr ihr strategisches Geschick. „Die Bevorzugung aufgrund von Geschlecht und Hautfarbe“, so Clint Bolick, Politikberater und Vizepräsident des konservativen Institute for Justice in Washington, „stellt grundlegende amerikanische Werte wie Fairness und Gleichheit in Frage. Unser Ansatz hingegen ist die wahre Fortführung der Revolution der Bürgerrechtsbewegung.“ Bolick ist maßgeblich an der Formulierung des „Civil Rights Act of 1995“ beteiligt, jener Gesetzesvorlage, mit der jede Berücksichtigung von Hautfarbe, ethnischer Abstammung oder Geschlecht bei der Vergabe von Studienplätzen, Beförderungen oder Jobs untersagt werden soll. Dies, so Bolick, sei der richtige Schritt auf dem Weg zu einer „farbenblinden“ Gesellschaft, wie sie einst Martin Luther King angestrebt habe.

Längst stimmen ihm auch konservative Schwarze und Hispanics zu, die affirmative action ablehnen, weil es das Stigma der Minderwertigkeit von Minderheiten verfestige. Bolick geht es dabei um weit mehr als die Abschaffung von Förderprogrammen für diskriminierte Gruppen: Er will den (Bundes-)staat aus gesellschaftlichen und ökonomischen Prozessen weitgehend herausdrängen. Affirmative-action-Befürworter Jesse Jackson bleibt in diesem politischen Klima nicht viel Handlungsspielraum außer dem immer häufiger gestreuten Gerücht, er werde sich erneut um das Präsidentenamt bewerben – eine Drohgebärde gegen Bill Clinton, der im Streit um affirmative action auch schon signalisiert hat, dem Druck der Rechten nach- und diverse Affirmative-action-Programme preiszugeben. Vielleicht bringt die Geste der 20.000 Kirchen-Delegierten ihn, den gläubigen Southern Baptist, noch einmal zum Nachdenken. Andrea Böhm, Washington