Matthiesen mit „Judas“-Rufen empfangen

■ Mehr als 10.000 Bergleute protestieren bei Rheinbraun gegen eine rot-grüne Koalition in NRW / Koalitionsverhandlungen stocken noch einmal wegen Kompetenz- und Personalgerangels

Gustorf (taz) –Noch einmal stockten gestern die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen. Der Streit ging um Fragen der Besetzung von Ministerposten und die Struktur des Kabinetts. Die Grünen wollen ein Städtebau- und Verkehrsministerium, die SPD bestand darauf, das wichtige Verkehrsressort zu behalten. Trotz eines „Rückschlags in der Stimmung“ rechneten beide Seiten mit einem erfolgreichen Abschluß – spätestens heute.

Der tags zuvor mühsam erzielte Braunkohle-Kompromiß erregt inzwischen die SPD-Basis. In Gustorf stellte sich gestern mittag der SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen wütenden Kumpeln. Ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert und „Judas! Judas!“-Rufe empfingen ihn. Mehr als 10.000 Kumpel waren angereist, um ein lautstarkes Nein zur rot-grünen Koalition loszuwerden. „Garzweiler II muß ohne Wenn und Aber kommen. Wir brauchen als Bergleute eine Zukunft, die nicht ,Rot-Grün‘ heißen kann. Wir gehen jetzt keinen Schritt mehr zurück. Wir gehen nur noch voran“, schmetterte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Wilfried Effer ins Mikrofon. Danach berichtete Erich Heckelmann, SPD-Landtagsabgeordneter und Bürgermeister in der Region, unter tosendem Beifall von seiner „Enttäuschung“ und seiner „inneren Wut“ beim Lesen der Vereinbarung zu Garzweiler II. Er sei den „intellektuellen Hochmut“ von Wolfgang Clement leid, der „uns da zugemutet wird“. Und dem Garzweiler-Gegner und SPD-Parteivize Christoph Zöpel wirft der Genosse „klammheimliche Freude“ vor. Da applaudieren die Kumpel, und die Schilder, auf denen auch Johannes Rau als „Judas“ beschimpft wird, werden immer wieder hochgerissen.

Nur schwer kann sich der SPD- Fraktionschef, der als Umweltminister das Projekt durchgeboxt hatte, Gehör verschaffen. Doch während seiner Rede wird es immer leiser auf dem Platz, und am Ende hört man neben vereinzelten Pfiffen auch Beifall. Matthiesens Botschaft klingt gänzlich anders als die Radionachrichten: „Wir haben uns in allen zentralen Punkten durchgesetzt.“ Garzweiler II werde wie geplant kommen. Er habe Garzweiler II „durchgesetzt“, und die Koalition müsse das jetzt „vollziehen, oder sie wird daran kaputtgehen“. Das einzige Zugeständnis bestehe darin, daß nun mit der Umsiedlung nicht vor der rechtskräftigen Genehmigung des Rahmenbetriebsplanes für den Tagebau begonnen werden solle. Das bedeute aber keine wesentliche Verzögerung, denn die Genehmigung werde Anfang 1998 „wie geplant“ erfolgen. Auch die Verkleinerung der Abbaufläche auf ein Drittel sei nichts als eine Absichtserklärung. Die Landesregierung „erwarte“, so steht es in dem Koalitionspapier, einen entsprechend reduzierten Antrag von Rheinbraun. Tatsächlich sei aber das Unternehmen, so Matthiesen wörtlich, bei der Antragstellung „völlig frei“.

Rheinbraun hat gestern auch schon angekündigt, daß sich der Antrag „auf das gesamte Projekt beziehen werde“. Wenn es so komme, so Matthiesen, habe Rheinbraun auch einen Anspruch auf Genehmigung. Da verstummten die Pfiffe, aber überzeugt waren die Kumpel nicht. „Schaut nach Kalkar“, rief einer – und niemand lachte. Walter Jakobs