Kein Diskurs-Geklimper

■ Wahrer Metropolen-Sound: Montag beginnt das Club-Festival "Jazz in July '95"

Daß Acid-Jazz außerhalb von Jeanswerbung kaum noch im Angebot der Agenturen zu finden ist, kann als ein gutes Zeichen gedeutet werden. Halbgare Sounds aus der Retorte und Möchtegernspieler, die gerade einmal ihr Instrument halten konnten, all das mußten wir über uns ergehen lassen – damals war's, vor noch nicht allzu langer Zeit, in der Acid-Epoche, als man ins Quasimodo tigerte und selbst dort nicht mehr sicher war, ob das denn noch Jazz sei, was sich so nannte.

Heuer stehen die Zeichen eher auf Besinnung auf das Konzept, mit dem man einst jenes ambitionierte Club-Jazz-Festival startete, nämlich just vor dem nahenden Sommerloch die Big Names des Jazz an den tourfreien Tagen zwischen den großen europäischen Sommerfestivals für ein, zwei Gigs in den Berliner Keller zu verpflichten. Ohne stressigen Marketing- Rummel und Ereignis-Overkill wie bei den anderen Festivals üblich und zu Eintrittspreisen, die andernorts kaum für den Pappbecher Bier in der Warteschleife reichen. Das war mal die Idee. Die auch fast aufging, wären die Sponsorengelder nur etwas flüssiger und wäre das Publikum ein wenig größer an der Zahl. Die Musiker jedenfalls kamen immer.

Gewiß, ein Festival, das nicht subventioniert wird, braucht sich nicht aufzuhalten mit der Papierproduktion für den Senatsschreibtisch und mit Konzepten, die später dann längst nicht mehr so gut klingen, wie sie sich vielleicht mal lasen. Und man muß nicht sinnlos experimentieren, nur weil sich der arg strapazierte Fortschrittsbegriff in der Kunst bewährt hat als Eckwert für kulturpolitische Taschenspielertricks.

Worauf sich also zurückziehen in der Zwischenzeit, wenn das Publikum noch gesättigt tut von den trendy fakes der Vorjahre und den Musikern mittlerweile der fun abhanden kam bei soviel Jazz-Politik-, -Diskurs- und -Correctness- Geklimper? Eine mögliche Antwort darauf schimmert beim diesjährigen Quasimodo-Programm schon mal durch: Qualität, Kontinuität und Konstanz.

Daß der Quasimodo-Jazzbegriff nicht durch etwaige Vorlieben der Crew für das eine oder andere Genre limitiert wird, das gehört seit je zum Grundprinzip der clubeigenen Programmpolitik. Und daß die Musiker selbst dafür Verantwortung tragen, wenn das Publikum ausbleibt. Daß die besondere Atmosphäre des legendären, in Holz gehaltenen Jazzkellers etwas Antiquiertes hat, mag sein. Aber daß man diese Bühne in den letzten zwanzig Jahren in den Jazzmetropolen der Welt schätzen gelernt hat, das zählt auch nicht schlecht. Aus der Perspektive New Yorker Jazzmusiker jedenfalls scheint das Quasimodo längst zum Synonym für Berlin geworden zu sein.

Und so hat es auch gar nichts Beunruhigendes, daß zwischen einem R&B-Gospel-Gig von Mavis Staples (5. 7.) und Funk-Fusion mit den jüngst revivalten Jazz Crusaders (7.7.) der „Hipster“ Dewey Redman (6. 7.) das Jazz-in-July- All-Star-Line-up ziert. Der legendäre Saxophonist aus der Ornette- Coleman-Connection ist ein Muß für alle, die von Live-Jazz etwas mehr erwarten als das kalkulierte Vorabspiel der nächsten CD. Im Unterschied zu seinem hochdotierten Sohn Joshua hat der Hipster allerdings noch nicht mal einen Plattenvertrag.

Als Jazz-in-July-Opener am Montag wurde der Gitarrist Mike Stern engagiert, neben John Patitucci (10. 7.) und Bill Evans (14./ 15. 7.) einer der wenigen bewährten Clubfüller der letzten Jahre. Beliebte Markenzeichen für Quasimodo-Qualität sind Paquito D'Rivera (4. 7.) und Steve Coleman (19.7.). Zu den kreativsten Pianisten der jüngeren amerikanischen Szene zählen zweifellos Uri Caine, der mit dem Don-Byron-Quintett anreist (9. 7.), und Geri Allen, für deren hochkarätig besetztes Trio mit Bassist Ron Carter und Schlagzeuger Lenny White Sie sich unbedingt den Abend freihalten sollten (13.7.).

Zu den wahren Kunststückchen des Quasimodo-Juli-Programms gehören zwei Auftritte der wiedervereinigten Brecker Brothers (16./17. 7.), die sich nach dieser Tour „endgültig“ wieder trennen werden, und die Jazz Machine des Coltrane-Schlagzeugers Elvin Jones (20./21. 7.) – beides Acts, die sonst nur von den großen Festivals bezahlbar sind. Das Quasimodo führt in diesem Monat der Möchtegernmetropole exklusiv vor, welche Big Names des Jazz für Bühnenqualität stehen und warum das so ist. Hier verpufft nichts open oder on air, denn die Energie wird erst nach und unter Tage getestet. Und da zählt eben nur, was nicht fake ist. Denn wer nichts eingemacht hat, der swingt nicht gut. Christian Broecking

„Jazz in July“ findet vom 2. bis 22.7. jeweils um 22 Uhr im Quasimodo, Kantstraße 12a, Charlottenburg, statt.