Repromediziner setzen auf die technische Lösung

■ Die Suche nach der eigentlichen Ursache der Unfruchtbarkeit wird vernachläßigt

„Wenn Frauen sich schon mit 25 anstatt erst mit Mitte 30 zum Kind entschließen würden, hätten die Fortpflanzungsmediziner wahrscheinlich geringeren Zulauf.“ Diese Auffassung vertrat der Münchener Gynäkologe Ulrich Noss in einem Round-table-Gespräch anläßlich der Jahrestagung der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE), die am Wochende in Hamburg zu Ende ging.

„Die Gesellschaft muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß Frauen Beruf und Familie schon in jungem Alter miteinander vereinbaren können. Sonst trägt sie am Problem der zunehmenden Unfruchtbarkeit selbst Mitschuld“, meint Noss. Viele Patientinnen, die sich wegen Fruchtbarkeitsstörungen in der Münchener Gemeinschaftspraxis des Reproduktionsmediziner behandeln lassen, sind älter als 30 Jahre. „Mit jedem zusätzlichen Lebensjahr erhöht sich für eine Frau das Risiko, kein Kind bekommen zu können“, erklärt Noss.

Auf dem mehrtägigen Hamburger Kongreß standen gesellschaftliche Fragen allerdings nicht auf dem Programm. Statt dessen präsentierten die Wissenschaftler ihre neuesten Forschungsergebnisse. Dabei widmeten sie sich dieses Jahr schwerpunktmäßig der männlichen Zeugungsunfähigkeit. Viele Untersuchungen sprechen dafür, daß sich die Spermienzahl in der Samenflüssigkeit der Männer in den letzten Jahren verringert hat. Eine unlängst veröffentlichte Studie zeigt, daß sich die Anzahl der Spermien bei 1.300 gesunden Samenspendern aus der Gegend von Paris in den letzten zwanzig Jahren jährlich um zwei Prozent reduzierte. Auch viele In-vitro-Befruchtungen bleiben ohne Erfolg, weil die Zahl der Spermien oder ihre Beweglichkeit eingeschränkt ist.

Neue Hoffnungen setzen die Mediziner deswegen auf die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), für die nur eine einzige befruchtungsfähige Spermie benötigt wird. In Deutschland praktizierte Noss diese auch als Mikroinjektion bezeichnete Methode zum ersten Mal vor zwei Jahren. Unter dem Mikroskop wird eine einzige befruchtungsfähige Samenzelle mit der Pipette „eingefangen“ und direkt in die Eizelle eingeführt. Bei dieser Methode könnte der Arzt auch einzelne Spermien nach bestimmten, vorher festgelegten Kriterien auswählen. Um einer „gezielten Menschzüchtung“ vorzubeugen, sah deshalb ein im letzten Jahr noch diskutierter Gesetzentwurf zur Regelung der künstlichen Befruchtung vor, die Mikroinjektion zu verbieten.

„Ohne die Anwendung von ICSI müßten wir ein Drittel unserer Paare von einer Behandlung ausschließen“, erläutert Noss die Bedeutung der neuen Technik. Die „High-Tech-Euphorie“ vieler Kollegen beurteilt der Fortpflanzungsmediziner allerdings kritisch. Seiner Meinung nach reicht es nicht aus, der zunehmenden Unfruchtbarkeit mit immer neuen Techniken zu Leibe zu rücken und die ökologischen und gesellschaftlichen Ursachen außer acht zu lassen. Anita Merkt