■ „Abteilung Gratisverlosung im Verlag Das Beste“
: Sternstunde des Glücks

Jetzt ist es passiert: Petra schreibt mir nicht mehr. Ob ich sie gekränkt habe? Monatelang war sie meine beste, liebste Brieffreundin.

Ihr erstes Lebenszeichen, eine Musikkassette, erhielt ich im Februar. Zu den Klängen von „La Cucaracha“ jubelte ihre glockenhelle Stimme: „Darf ich mich persönlich bei Ihnen vorstellen? Ich bin Petra Geggus-Wiens und leite die Abteilung Gratisverlosung im Verlag Das Beste.“ Eine halbe Million winke dem glücklichen Gewinner. „Vielleicht denken Sie jetzt: Ich habe noch nie gewonnen. Darauf möchte ich Ihnen antworten: Warum sollen Sie Ihr Glück nicht einmal beim Verlag Das Beste versuchen?“ Ja, warum eigentlich nicht?

Von nun an ist mein Briefkasten niemals leer. Petras Briefe, reich geschmückt mit Wappen, Siegeln und Rubbelfeldern, stecken voll guter Ratschläge und detaillierter Hilfestellungen: „Achten Sie in den nächsten Tagen sorgfältig auf Ihre Post. Wenn Sie in Ihrem Briefkasten ein großes weißes Kuvert mit einem Goldsiegel finden, sollten Sie sofort handeln: Öffnen Sie das Kuvert!“

Ich handle sofort und muß ein bißchen schlucken vor Rührung: Petra stellt mir ihre Freunde vor. „Sehr verehrte Frau Hoffmeyer, wissen Sie, daß es drei Menschen gibt, die für Sie von ganz besonderer Bedeutung sind? Es sind drei Kollegen von mir, die Tag für Tag ihr Bestes dafür tun, um Sie, Frau Hoffmeyer, zufrieden, ja sogar glücklich zu machen.“

Ach ja, Glück! Liebe Menschen sind das, Petra und ihre Kollegen. Sie haben sich nicht nur die Mühe gemacht, ein „neues Auswahlbuch mit vier internationalen Erfolgsromanen in wertvoller Ausstattung“ für mich auszusuchen, sondern auch einen „aufwendigen, prächtig ausgestatteten Bild- und Textband ,Faszination des Unfaßbaren‘“ für nur 79,90 Mark in Raten. Das Werk scheint überaus wichtig für die Allgemeinbildung zu sein. Damit könnte ich meine „Kenntnisse auf dem Gebiet der Telepathie, der Hexen- und Teufelsaustreibung, der Urzeiträtsel beträchtlich erweitern“. Nicht schlecht.

Oder soll ich lieber für schlappe 250 Mark den „topaktuellen Doppelbild-Leuchtglobus“ erwerben? Ein Globus ist wichtig. Petra rät zu: „Vielleicht werden Sie schon bald sagen: Meine Entscheidung, Kunde beim Verlag Das Beste zu werden, war eine Sternstunde des Glücks!“ Vielleicht. Aber wenn ich das alles bestelle, hat Petra doch bloß Arbeit damit. Ich lasse es lieber. Aber ich muß ganz schön aufpassen, denn die Aufkleber zum Bestellen kleben direkt neben den Aufklebern, mit denen ich Woche für Woche wieder mein Interesse an der Verlosung bekräftigen muß. Man kann sich da leicht vertun.

„Schon bald“ könnte ich stolze Gewinnerin sein, schreibt mir Petra im Februar, im März und auch im April. Im Mai schickt sie mir sogar ein Veranstaltungsprogramm für die „festliche Gewinner-Party“. Doch damit nicht genug der Aufmersamkeiten, denn die Freunde haben schon wieder etwas für mich ausgesucht!

Obwohl ich nichts bestelle, kriege ich eines Tages doch ein Paket. Ein Buch ist drin und ein paar blutrote Plastikrosen als „Überraschungs-Geschenk“. Alles geschenkt? Hoppla, da ist ja eine Rechnung dabei über 39,90 Mark. Sicher haben sich meine Freunde einfach nur vertan. Kann passieren. Ich schicke das Paket an sie zurück.

Jetzt herrscht Funkstille. Was habe ich falsch gemacht? Mein „persönliches Vorteilsdokument“ und meine „Zufriedenheitsgarantie“ – sind sie für immer ungültig? Was ist mit dem Glück? Hast du unsere Freundschaft ganz vergessen? Liebe Petra, bitte melde dich! Miriam Hoffmeyer