Die Medikamente im Garten

Blätter des Caja-Baumes produzieren Wirkstoffe gegen den Herpes-Virus / Das Programm „Lebendige Apotheke“ vermittelt das Wissen, um Heilpflanzen selbst anzubauen  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Das Medikament gegen den lästigen Herpes-Virus findet sich an jeder Straßenecke, nur: Keiner weiß es. In den Blättern und der Rinde des in Brasilien weitverbreiteten Caja-Baumes schlummern die heilenden Substanzen Geraniin und Gallolylgeraniin. Diese Entdeckung machten vor drei Jahren fünf belgische Wissenschaftler von der Universität Antwerpen. Nun versucht die Universität des nördlichen Bundesstaates Ceara mit ihrem Programm „Farmacia Viva“ („Lebendige Apotheke“), die von den belgischen Pharmaziewissenschaftlern hervorgebrachten Kenntnisse an die lokale Bevölkerung weiterzugeben.

„Man kann die Blätter wie Kaugummi kauen oder mit heißem Wasser zu einem Tee aufkochen“, erklärt Francisco José de Matos, Professor an der Universität von Ceara in Fortaleza und Leiter des Programms Farmacia Viva. Der Pharmakologe hat bereits die heilende Wirkung von 52 Pflanzen aus dem brasilianischen Nordosten untersucht und dokumentiert. Mit natürlichen Arzneimitteln lassen sich viele Krankheiten in den Griff bekommen: Erkältung, Halsweh, Husten, Rheumaschmerzen, Entzündungen unterschiedlichster Art, Brechreiz, Durchfall und Karies, um nur einige der Leiden zu nennen.

Die Setzlinge der auserwählten Heilpflanzen werden von Mitarbeitern der Universität zusammen mit einem Handbuch an die Bewohner der Armensiedlungen weitergeleitet. Nach einführenden Erläuterungen durch Programm- Gründer Matos kontrollieren Ärzte, Landwirte und Pharmazeuten in regelmäßigen Abständen die richtige Anwendung der Medikamente und das Wachstum der Bäume und Pflanzen. In der Landeshauptstadt Fortaleza beteiligen sich bereits sechs Gemeinschaften an dem Programm; im Landesinnern von Caera sind es bereits ein Dutzend Dörfer, die sich ihre Medikamente selbst im Garten anbauen. Die Kosten für diese Art Volksmedizin sind minimal: sie schwanken pro Gemeinde zwischen umgerechnet 800 und 2.000 Mark.

In Brasilien gehört der Caja- Baum, mit wissenschaftlichem Namen Spondias mombin, zu den wenigen Pflanzen, die sich einmal jährlich komplett entlauben. Bei der Bevölkerung ist er wegen seiner birnenförmigen Frucht „Caja“ beliebt, da sie sich hervorragend zu Saft verarbeiten läßt. Außerdem wird seinen Blättern heilende Wirkung bei Durchfall und der Behandlung von Wunden zugeschrieben. „Die Leute benutzen Caja- Blätter schon zum Säubern von Wunden und gegen Halsschmerzen“, erklärt der Pharmakologe Matos. Doch die Heilkraft gegen den Herpes-Virus sei erst durch die Belgier entdeckt worden.

„Spondias mombin ist ein etwa 18 Meter hoher Baum, der im tropischen Zentralamerika zu Hause ist, mittlerweile jedoch auch in Südostasien und Westafrika verbreitet ist“, heißt es in der wissenschaftlichen Zeitschrift Phytochemistry aus dem Jahr 1991.

Nach zahlreichen Versuchen gelangten die belgischen Forscher zu der Erkenntnis, daß die aus dem Extrakt der Blätter und der Rinde gewonnene Substanz Geraniin aktiv gegen den Herpes-Virus vorgehe. Sieht man einmal von dem laufenden Pilotprogramm der Universität in Ceara ab, ist jedoch die heilende Wirkung des Caja-Baumes in Brasilien noch nicht allgemein bekannt.

Wie die Caja-Früchte, die lediglich auf dem Wochenmarkt, nicht jedoch beim Lebensmittelhändler verkauft werden, ignoriert bis jetzt auch Brasiliens Pharmaindustrie die medizinische Anwendungsmöglichkeiten des Spondias mombin. Laut Serafim Branco Neto, Sekretär bei Abifarma, dem brasilianischen Verband der Pharmaproduzenten, werden auf dem brasilianischen Markt bis jetzt zwei Präparate gegen Herpes angeboten. Die Wirksubstanzen der Medikamente würden synthetisch im Labor hergestellt.

„Bis zur Herstellung eines Medikaments sind erhebliche Investitionen fällig“, nimmt Professor Matos die Pharmaindustrie in Schutz. Um in den pharmakologischen Katalog der brasilianischen Regierung aufgenommen zu werden, müßten die jeweiligen Unternehmen ein Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen vorlegen, die nicht nur die Heilkraft beweisen, sondern auch eventuelle schädlichen Nebenwirkungen von vornherein ausschließen. „Die Lebendige Apotheke funktioniert wie ein Bypass“, so Matos. „Statt auf Forschungen der Pharmaindustrie zu warten, züchten sich die Leute ihre Medikamente im Garten.“