I love Absurdistan

■ Houchang Allahyari will in seinen Filmen "eine bessere und schönere Beziehung zwischen Österreichern und Ausländern zeigen". Gespräch mit dem Wiener Regisseur und Psychiater

Houchang Allahyari, geboren 1941 in Teheran, Studium der Medizin in Wien. Im Rahmen seiner psychiatrischen Tätigkeit arbeitet er mit straffällig gewordenen Drogenabhängigen in Gefängnissen, unter anderem in Form von Filmgruppenarbeit. 1985 dreht Allahyari seinen ersten Spielfilm „Pasolini inszeniert seinen Tod“. Zahlreiche TV- und Kinoproduktionen folgen. 1992 erhält er für die Filmkomödie „I love Vienna“ den Nestroy-Ring. 1994 bringt der bekannte österreichische Filmemacher seinen Kinofilm „Höhenangst“ heraus.

taz: Sie haben einen Film mit dem Titel „I love Vienna“ gemacht. Das klingt wie ein Slogan aus der Fremdenverkehrswerbung.

Houchang Allahyari: „I love Vienna“ ist ein Slogan, den ich mit voller Absicht gewählt habe. Aber das heißt nicht, daß eine Liebeserklärung an eine Stadt, in der man lebt und liebt, unkritisch ist. Es ist eine ambivalente Beziehung. Ich bin schon seit längerer Zeit in Wien, und es klingt vielleicht blöd, wenn ich sage, Wien ist meine Heimat und ich möchte nirgendwo auf der ganzen Welt leben außer in Wien. „I love Vienna“ haben sehr viele Leute als ausländerfreundlichen Film bezeichnet. Das ist mir auch ganz recht so. Ich wollte die ausländerfreundliche Seite Wiens zeigen. Ich möchte diese Gehässigkeit, diese Negativität, die vorhanden ist, nicht filmisch verstärken. Ich gehe sogar eher utopisch vor und möchte in meinen Filmen eine bessere und schönere Beziehung zwischen Österreichern und Ausländern zeigen. Damit die Leute sehen, daß es in dieser Stadt auch anders gehen kann.

Haben Sie persönlich diese Gehässigkeit und Fremdenfeindlichkeit in Wien zu spüren bekommen?

Nein. Ich gehöre vielleicht zu jenen Ausländern, die in Österreich Glück gehabt haben. Damals vor dreißig Jahren, als ich nach Wien gekommen bin, sind die Ausländer ja ein wenig wie Exoten betrachtet worden. Aber seither hat sich vieles verändert. Und ich beobachte als Psychiater, vor allem in der letzten Zeit, daß es wahnsinnig viele gibt, die Identitätsschwierigkeiten haben. Viele Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, erleben einen sozialen Abstieg. Ich kenne sehr viele Akademiker und Künstler, die in Wien als Gemüsehändler arbeiten müssen. Und damit werden sei einfach nicht fertig. Was ich diesen Leuten immer empfehle, ist, daß sie kulturell und politisch nicht im Ghetto bleiben. Natürlich werden die Ausländer auch von außen in ein Eck gedrängt, so daß sie sich total als Außenseiter vorkommen. Aber dann muß ich auch etwas dagegen unternehmen, damit ich nicht in diesem Ghetto bleibe. Denn sonst bin ich total verloren.

Wo sehen Sie dabei Ihre Aufgabe als Filmemacher?

Es ist klar, ich komme aus dem Orient, ich lebe seit langer Zeit hier, ich fühle mich als Wiener, aber gleichzeitig auch als Ausländer, und diese Ambivalenz ist immer da, und das versuche ich in den Filmen zu bringen. Jeder Mensch sollte Aktivitäten setzen. Ein Philosoph hat gesagt, wenn ein so kleiner Grippevirus in einen Körper eindringt und einen Menschen eine Woche lang lahmlegt, wieso bin ich nicht als Mensch in der Lage, in die Gesellschaft einzudringen und sie zu verändern? Aber ich bin kein Guru, kein Weltverbesserer. Ich möchte Filme machen, die die Leute ins Kino locken und amüsieren. Wenn sie ins Kino gehen und über einen Film lachen und dann später die Möglichkeit haben nachzudenken, ist das besser, als einen Vortrag zu halten über Ausländerhaß in Wien.

Ihr nächster Film soll „Geboren in Absurdistan“ heißen. Wieder eine Komödie mit ernstem Hintergrund?

Ja, das soll ein sehr kritischer, aber auch ein sehr humorvoller Film werden. Das Thema ist ganz traurig. Es geht um die Abschiebung von Ausländern. Absurdistan ist für mich, wenn ein Mensch hier geboren ist, keine Staatsbürgerschaft hat, und ins Ausland fahren muß, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Oder ein 18jähriger, der wegen einer Kleinigkeit in U- Haft sitzt und deswegen in die Türkei abgeschoben wird. Das finde ich wirklich absurd. Im Film geht es um eine österreichische und eine türkische Familie in Wien, deren Babies nach der Geburt im Spital vertauscht werden. Das österreichische Kind muß mit seinen türkischen Eltern das Land verlassen. Die beiden Familien treffen aufeinander und die Österreicher sind zu Beginn ein wenig rassistisch. Durch den Kontakt verändern sich aber ihre Einstellungen und ihr Verhalten. Das ist vielleicht auch eine Utopie. Leider wurde dieses Filmprojekt vom österreichischen Filmförderungsfonds abgelehnt.

Mit welcher Begründung?

Man hat mir gesagt, daß sich die Gesetze verändert haben. Aber ich glaube, sehr vieles ist nur eine Scheinbesserung und es hat sich nicht wirklich etwas verändert. Es gibt nach wie vor so viele Leute, die als Illegale in Wien leben. Ich wollte auch die andere Seite in diesem Film zeigen, denn ich kenne sehr viele Beamte, die nicht damit einverstanden sind, diese Fremdengesetze durchzuführen. Die ärgern sich und sind total überfordert. So gesehen glaube ich, daß es in dieser Zeit wahnsinnig notwendig ist, solche Filme zu machen. Und es ist nicht so, daß gesagt wird, das Drehbuch ist nicht gut gemacht, kann man dies oder das ändern, das Thema ist sehr wichtig. Nein. Und das finde ich wahnsinnig traurig, weil ich glaube, daß man durch Kunst wirklich sehr viel verändern kann.

Klingt ganz nach Absurdistan. Das Thema war also politisch brisant?

Das glaube ich gar nicht. Wenn man es so betrachten würde, das wäre ja noch gut. Am meisten ärgert mich die Unaufmerksamkeit und der Leichtsinn, dieses Thema so billig zu behandeln. Wenn man sagt, politisch ist es gefährlich, na gut, darüber kann man diskutieren. Aber ich glaube nicht mal, daß überhaupt so weit gedacht wird.

Wie lautet Ihre Diagnose in Anbetracht der restriktiven Fremdengesetze und ihrer absurden Auswirkungen?

Ich bin ein Mensch, der gegen Diagnosen ist, aber ich würde sagen: neurotische Störung. Es gibt ein gestörtes, neurotisches Klima derzeit in Österreich.

Wie beurteilen Sie das Verhältnis der Wiener zur kulturellen Vielfalt in ihrer Stadt?

Wien ist ja immer multikulturell gewesen. Das zeigt sich im Telefonbuch und auch in der Kunst. Wenn man im Ausland ist und über Kunst in Wien, über Musik, Theater oder sogar Film redet, dann wird das sehr positiv wahrgenommen und auch hochgeschätzt. Ich glaube, daß das Multikulturelle wichtig ist, um die Kultur weiterzuentwickeln. Aber ich glaube auch, daß die Wiener das viel zu wenig schätzen, im Gegensatz zum Ausland. Und das ist sehr traurig. Oder auch die Tatsache, daß Wien eben immer multikulturell war, wird vergessen. Sogar solche Leute, wo man dem Namen nach glaubt, die können keine Österreicher sein, die stammen anderswo her, gerade diese Leute sind oft Anti-Ausländer. Ich möchte nicht alle in einen Topf werfen, das tue ich nie. Aber Ausländer sein heißt derzeit, wenn man ein Türke ist, wenn man ein Jugoslawe ist. Ausländer ist jemand, der aus Rumänien kommt, aus dem Orient überhaupt.

Sie haben gesagt, Wien ist Ihre Heimat. Könnten Sie sich in London oder Paris nicht genauso heimisch fühlen?

Ich glaube nicht. Es sind sehr viele emotionale Sachen, die man einfach nicht auf logischer Ebene erklären kann, daß man sagt, das und jenes ist in Wien und deshalb liebe ich Wien. Ich habe nicht ein, zwei, drei Punkte, die ich aufzählen kann, sondern ich muß über diese Frage nachdenken.

Warum kann ich nicht in London oder Paris leben? Vielleicht ist es Bequemlichkeit, daß ich hier dreißig Jahre lebe und hier meine Existenz aufgebaut habe und einfach nicht woanders sein will. Aber ich glaube nicht, daß es nur das ist. Mir gefällt auch die Mentalität der Wiener gut. Mein Freundeskreis, das sind sehr empfindsame, auch sehr tolerante Leute. Ich habe sehr viele Patienten hier, zu denen ich ein wahnsinnig gutes Verhältnis habe und umgekehrt auch. Also wir bauen uns gegenseitig immer auf. Wenn die Wiener zu mir als Psychiater kommen, sehe ich, daß ich die Persönlichkeit der Wiener viel besser erkennen und bearbeiten kann als zum Beispiel bei einem Landsmann von mir. Das ist vielleicht grotesk, aber das ist so. Weil ich solange hier bin und die Mentalität sehr gut kennengelernt habe. Weil ich drei Kinder habe, die eigentlich Wiener sind. Die verstehen zwar die persische Sprache, sprechen aber nicht persisch. Und kulturell sind sie total westlich und auch wienerisch, muß ich sagen. Das sind Leute, die mir so nahe sind. Wenn ich es optisch betrachte, finde ich Wien von der Architektur her kitschig, und das ist das, was mir gut gefällt.

Das Gespräch führten Beate

Firlinger und Ina Zwerger