Freispruch für einen sozial Schwachen

■ Wahlkampf pur: Ein ominöses Fax der Steglitzer CDU zu einem Strafverfahren gegen Kandidaten der „Partei der Arbeitslosen und sozial Schwachen“

Noch 87 Tage bis zur Abgeordnetenhauswahl am 22. Oktober! Um auch die letzte politische Schlafmütze auf den richtigen Kurs zu bringen, verschicken die gewitzten Christdemokraten auch an Zeitungsredaktionen Abrißkalender, die sich mit jedem Riß dem Tag der Wahl für hoffentlich Diepgen nähern.

Auch der gestrige Prozeß gegen Peter Martin, der im letzten Jahr als Spitzenkandidat der Partei der Arbeitslosen und sozial Schwachen (PASS) für die Bundestagswahl kandidierte, atmete Wahlkampfgeist. Ausgesprochen „scharf“ fand der Richter die Tatsache, daß die Presse durch ein ominöses Fax mit dem Absender der CDU-Bezirksgruppe Steglitz auf das Verfahren wegen Wahlfälschung hingewiesen wurde. Daß dieses Fax im Unterschied zu den vier Unterschriften, die Gegenstand des Stafverfahrens waren, trotz fehlender Absenderkennung höchstwahrscheinlich keine Fälschung ist, dafür spricht die Tatsache, daß sich Peter Martin seit Jahren einen erbitterten Streit mit dem Steglitzer Stadtrat für Jugend und Sport, dem Christdemokraten Bernhard Schmugge, liefert. „Der fühlte sich permanent von mir auf den Schlips getreten“, sagte der Datenverarbeitungskaufmann gestern. Weil der Stadtrat trotz größter Mühe nicht habe verhindern können, so Martin, daß er auch ohne fehlendes Sorgerecht für seine Tochter in den Landes- und Bezirkselternausschuß aufgenommen wurde, und weil er Tausende von Flugblättern gegen den Stadtrat verteilte, glaubt der Angeklagte an einen „logischen Versuch“, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Bei seinen weitschweifigen Erklärungen, die bisweilen Wahlkampf life waren, war zu erfahren, daß die Gründung der PASS im Oktober 1993 maßgeblich auf die Fehde mit dem Stadtrat zurückzuführen gewesen sei.

Was war passiert? Tatsächlich waren neben den zweihundert für die Bundestagskandidatur Martins erforderlichen Unterschriften vier gefälschte gefunden worden. Da tauchten Namen von vier Personen zweimal auf – die Unterschiede der Schriften waren auch dem Richter auf den ersten Blick auffällig. Schützenhilfe bekam Martin von dem von ihm selbst benannten Zeugen Andreas Lüdecke, seines Zeichens Vorsitzender der Partei. Es sei „gang und gäbe“, sagte er, daß gefälschte Unterschriften abgegeben würden. Um diese zu „separieren“, gebe es schließlich den Landeswahlleiter.

Der Vorsitzende Richter, der mit dem nötigen Humor durch die Verhandlung führte, entsprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft und sprach Martin wegen Fehlen eines Motivs frei. Auch der Phantasie des Richters waren angesichts der Wahlkampfstimmung keine Grenzen gesetzt. „Über zehn Ecken könnte ich mir vorstellen“, spekulierte er, daß Martin das Strafverfahren selbst inszeniert und auch das Fax verfaßt habe, um sich und seiner Partei eine gewisse Öffentlichkeit zu verschaffen. Barbara Bollwahn