Frontalangriff auf die Stadtmagazine

■ „Tagesspiegel“ startet im August mit wöchentlicher Programmbeilage / „tip“ und „zitty“ wollen klagen

Die ersten Nullnummern sind produziert, im Verlagshaus an der Potsdamer Straße herrscht seit langem wieder einmal euphorische Stimmung. Mit einem vierfarbigen Stadtmagazin namens Ticket will der Tagesspiegel-Verlag ab 23. August in ein neues Marktsegment stoßen. Hauptziel, so suggerieren die bunten Diagramme für die Anzeigenkunden, ist der Werbekuchen der beiden 14tägig erscheinenden Stadtmagazine zitty und tip. An dem Projekt, über dessen genaue Kosten sich der Verlag ausschweigt, tüftelt ein Redaktionsteam seit drei Monaten. Nach einer Startauflage von 700.000 soll sich das im westfälischen Hamm gedruckte Ticket bei 110.000 Exemplaren einpendeln. Hinter den vornehmlich für die Werbewirtschaft aufgepeppten Auflagenzahlen verbirgt sich jedoch ein schlichter Rechentrick: Denn nur 10.000 sollen am Kiosk verkauft werden. 85.000 Exemplare werden hingegen den Abonnenten des Tagesspiegel kostenlos beigelegt, weitere 15.000 Exemplare erhalten nicht näher definierte „Festabnehmer“.

Mit dem Kioskpreis von einer Mark eröffnet der Tagesspiegel- Verlag auf dem hart umkämpften Berliner Zeitungsmarkt eine Preisschlacht gegen die um ein Vielfaches teureren alteingesessenen Magazine: Die zitty kostet derzeit 3.60, der tip vier Mark. Als Kerngruppe hat das Ticket die „20 bis 39jährigen“ anvisiert, wie Chefredakteur Moritz Müller-Wirth gegenüber der taz erklärte.

Offenbar versucht der Tagesspiegel, der mehrheitlich zum westdeutschen Holtzbrinck-Konzern (Handelsblatt und andere regionale und lokale Blätter) gehört, beim jungen Publikum verlorenes Terrain wiedergutzumachen. Nach der jüngsten Daten der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, die von den führenden Unternehmen der Werbe- und Medienbranche getragen wird, sackte die Tagesspiegel-Reichweite (Leser pro Ausgabe) bei den unter 40jährigen erheblich ab: von 140.000 im vergangenen Jahr auf nunmehr 120.000. Ein Problem, das der 50 Jahre alte Tagesspiegel allerdings mit der Konkurrenz teilt. Alle zehn in Berlin erscheinenden Tageszeitungen haben Probleme, junge Leser langfristig an ihre Blätter zu binden. So verordnete der Springer-Verlag als Frischzellenkur seiner Berliner Morgenpost im März die Herausgabe eines wöchentlichen Programmhefts.

Die tip-Macher wittern bei dem Projekt Ideenklau

Damit sich das neue Wochenmagazin des Tagesspiegel-Verlags rechnet, müssen von den vorgesehen 56 Seiten Heftumfang mindestens 30 Prozent Anzeigen verkauft werden. Ein Unterfangen, das nach Ansicht des Technischen Leiters beim tip, Reszö Markovicz, hauptsächlich gegen die finanziell schwächere zitty gerichtet ist: „Die Anzeigenpreise liegen auf zitty-Linie“. Daß die Inserenten das eigene Magazin verlassen könnten, glaubt Markovicz nicht. Dafür sei die Druckqualität des Ticket nicht gut genug.

Bei der zitty, die im ersten Quartal des Jahres alle zwei Wochen durchschnittlich 80.491 Exemplare absetzte und mit dem tip in einem Anzeigenverbund zusammenarbeitet, wird mit einer Mischung aus Skepsis und Sorge das Großprojekt des Tagesspiegel verfolgt. „Wir überlegen noch, wie wir reagieren“, sagt zitty-Geschäftsführer Nikolaus Erhart.

Als kleiner Verlag könne man aber „sicherlich nicht die Kanonen vom Zuschnitt des Tagesspiegel aus der Garage ziehen“. Erhart möchte die Planungen des Konkurrenten ohnehin tiefer gehängt wissen. Zu oft seien Tagesspiegel- Projekte wieder eingestellt worden. Erst im vergangenen Jahr hatte der Verlag mit einer Kiezausgabe erfolglos versucht, die Bezirks-Berichterstattung zu stärken. Das – auch im Haus umstrittene – Projekt wurde schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt.

Für das neue Magazin wurde intern die Meßlatte offenbar schon wieder etwas tiefer gehängt. Die von der Anzeigenabteilung angekündigte Startauflage von 700.000 sei in der Diskussion, aber „noch nicht ganz verworfen“, meint einschränkend Müller-Wirth, früherer Inlandsredakteur beim Tagesspiegel. Schon vor dem Startschuß zur Funkausstellung droht dem Magazin juristischer Ärger. Der gleich nebenan residierende tip- Verlag (84.333 verkaufte Exemplare im ersten Quartal 95) will mit einer einstweiligen Verfügung gegen die „Verwendung von Namensteilen“ vorgehen, kündigte Markovicz an. Verärgert registrierte nämlich der tip, daß eine Nullnummer des Ticket mit der Unterzeile „Das aktuelle Berlin- Magazin“ verschickt wurde. Die tip-Macher wittern Ideenklau, ähnele es doch dem hauseigenen Slogan „Berlin-Magazin“.

Der Verlagsleiter des nach der Wende vom Gruner+Jahr-Konzern aufgekauften Berliner Verlags, Harald Wahls, sieht dem Vorstoß der Konkurrenz auf dem Tageszeitungsmarkt mit Skepsis entgegen. Eine junge Zielgruppe sei mit einer Beilage nur schwer zu erreichen, zumal der Tagesspiegel „in den letzten Jahren deutlich konservativer“ geworden sei. tip und zitty müßten sich wohl nicht fürchten, meint Wahls ironisch: „Das Goldene Blatt wird nicht dadurch für junge Leute attraktiver, indem man ihm ein Mickymausheftchen beilegt.“ Severin Weiland