UNO zieht sich aus Bosnien zurück

■ Rund die Hälfte aller Blauhelm-Truppen sollen das Land verlassen. Schwere serbische Artillerieangriffe auf Sarajevo. Artillerieduelle zwischen Serben und Kroaten bei Dubrovnik, Warnung vor neuem Krieg in Ostslawonien

Sarajevo/Zagreb (AFP/dpa/taz) – Vier Tage nach dem angekündigten Rückzug aus der ostbosnischen Stadt Goražde plant die UNO offenbar, auch die Blauhelm-Soldaten aus der UN-Schutzzone Bihać im Nordwesten Bosniens abzuziehen. Ein UN-Vertreter in Sarajevo, der nicht genannt werden wollte, bestätigte gestern einen entsprechenden Bericht der in Sarajevo erscheinenden Zeitung Oslobodenje. Nach Angaben des UN-Vertreters müsse die UNO die Entwicklungen vor Ort zur Kenntnis nehmen. Die UN-Soldaten seien in Bihać nicht länger notwendig. Oslobodenje berichtete, die Blauhelme würden bis Oktober aus Bihać abgezogen sein.

Aus Militärkreisen in Zagreb verlautete, daß die Kommandeure der UN- Schutztruppen Unprofor einen Abzugsplan erarbeiten, der dem UN-Generalsekretär vorgelegt werden soll. Nach diesen Angaben plant die UNO, mindestens 10.000 der 20.000 in Bosnien stationierten Blauhelme abzuziehen. Die rund 8.000 Soldaten der Schnellen Eingreiftruppe sollen allerdings vor Ort bleiben.

Die serbische Belagerung der Region Bihać war nach der kroatischen Offensive gegen die Krajina-Serben Anfang August von den bosnischen Regierungstruppen durchbrochen worden. Derzeit halten sich im Raum Bihać 1.249 Blauhelme aus Bangladesch und 33 UN-Beobachter auf.

Die Kämpfe zwischen der bosnischen Regierungsarmee und den Einheiten der bosnischen Serben im Nordwesten Bosniens nahe der Zone von Bihać dauerten nach UN-Angaben gestern an. Die bosnische Regierungsarmee hatte die Offensive vor wenigen Tagen begonnen. Das Ziel dieser Offensive sei offenbar die serbisch kontrollierte Stadt Banja Luka. Bei einem Granatenangriff auf die Stadt Cazin bei Bihać waren bosnischen Rundfunkberichten zufolge am Montag mindestens zehn Menschen getötet worden. Unter den Opfern seien erneut zwei Kinder.

Ein erster Konvoi mit Ausrüstungsgegenständen der neunzig ukrainischen Blauhelme hat die UN-Schutzzone Goražde am Montag abend verlassen. Nach UN-Angaben sollen etwa zwanzig Beobachter in der UN-Schutzzone verbleiben. Die Stadt werde notfalls durch Luftangriffe der Nato geschützt. Allerdings würden Nato-Luftangriffe erst dann erfolgen oder angedroht, wenn die bosnischen Serben Goražde mit Panzern, Artillerie und Infanterie angriffen.

Die bosnische Regierung hatte vehement gegen den Blauhelm-Abzug protestiert. Am Sonntag waren bei einem bosnisch-serbischen Granatenangriff auf Goražde drei Kinder getötet worden. Die Unprofor hatte einen Vergeltungsschlag der Nato wegen der „Geringfügigkeit“ des Vorfalls abgelehnt. Außer den ukrainischen Blauhelmen sind in Goražde 180 britische UN-Soldaten stationiert.

Kroatische und serbische Einheiten haben sich gestern im Hinterland der Hafenstadt Dubrovnik neue heftige Artillerieduelle geliefert. Nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug wurden Dörfer nahe der Serbenhochburg Trebinje angegriffen. Die Serben hätten daraufhin „ausschließlich“ militärische Stellungen beschossen.

In der Nähe von Sarajevo ist gestern morgen eine UN-Stellung von Granaten getroffen worden. Dabei wurden nach Angaben der Unprofor sechs ägyptische Blauhelme verletzt, zwei davon schwer. Der heftige Beschuß Sarajevos dauerte nach Angaben einer UN-Sprecherin gestern nachmittag an. Es gab mindestens fünf Tote und 22 Verletzte.

Auch in Ostslawonien stehen nach Angaben der UNO neue Kämpfe bevor. „Es besteht die ernste Gefahr einer Eskalation“, erklärte UN-Sprecher Chris Gunness in Zagreb. In den vergangenen Tagen hätten die Gefechte zwischen Kroaten und Serben in der Region um Osijek, etwa 300 Kilometer südöstlich von Zagreb, in beunruhigendem Maße zugenommen. Beide Seiten seien in die Pufferzone vorgerückt. Ostslawonien ist nach der kroatischen Offensive in der Krajina das letzte serbisch kontrollierte Gebiet in Kroatien. Staatspräsident Tudjman hatte wiederholt eine „Reintegration Ostslawoniens“ als vorrangiges Ziel bezeichnet.

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