■ Wenn der Kontoauszug erzählt
: Sprechen wir jetzt Geld?

Sprechen ist Geld. Das hat jetzt gar nichts mit der Psychoanalyse zu tun, vielmehr habe ich das aus amerikanischen Spielfilmen gelernt, wo immer mal wieder einer sagt: „Let's talk money now“, also: „Lassen Sie uns jetzt Geld sprechen.“ Noch besser gefällt mir dieser Ausdruck als Frage: „Are we talking money now?“ In Gottes eigenem Land muß man Geld nicht haben oder erwerben, sondern kann es sprechen.

Unser europäisch-vergrübelter Geist indes hält das für eine unbewiesene Behauptung, die er nicht einfach so hinnehmen kann, sondern irgendwie verifizieren muß. Versuchen wir es einmal mit der Umkehrung: Wenn man Geld sprechen kann, dann muß auch das Geld selbst sprechen können. Es spricht allerdings nicht für sich selbst, sondern für den, dem es gehört. Und zwar so:

Nach der ersten Auszahlung ist der Saldo minus 9.626,03 Mark, minus ein Scheck, minus Strom. Dann kommt eine Überweisung von der Landeshauptkasse, plus 2.293,91 Mark. Dann nur noch minus: minus Auszahlung, minus Dauerauftrag aufs Sparbuch, minus Dauerauftrag für die Miete, minus noch eine Auszahlung, minus Versicherung. Nach diesem Vortrag ist das Geld bei einem Saldo von minus 9.049,22 Mark angelangt, die Bank souffliert die nichtgebuchten Sollzinsen: minus 118,58 Mark und moderiert die Absage mit dem Hinweis, daß Kapitalerträge einkommensteuerpflichtig seien. Hätte man nur welche.

So spricht das Geld: in Form von Kontoauszügen. Der hier zitierte ist meiner nicht, vielmehr handelt es sich, wie an der Überweisung von der Landeshauptkasse und der Beitragszahlung an die Deutsche Beamtenkrankenkasse unschwer zu erkennen ist, um den Kontoauszug einer völlig verschuldeten Beamtin. Ich habe ihn in meiner Bankfiliale in dem Körbchen gefunden, in das sich der Kontoauszugsdrucker hineinerbricht. Viel verdient die Frau ja sowieso nicht, muß dann auch noch ihr Konto derart überzogen sein? Im Prinzip natürlich nicht, möchte man sagen, aber das ist so ähnlich, wie wenn man einem Drogensüchtigen sagte, er solle sich lieber kein Heroin mehr spritzen, oder einem Fettsüchtigen, er solle halt einfach weniger essen.

Um nun keine falschen Vorstellungen über die finanzielle Lage unserer Beamtenschaft und keine Mutmaßungen darüber, wie die wohl mit unserem Geld umgehen, wenn sie mit ihrem eigenen schon nicht wirtschaften können, aufkommen zu lassen, sei ergänzend der Kontoauszug eines anderen Beamten zitiert. Diesen habe ich einige Wochen später an gleicher Stelle gefunden. Hier spricht das Geld eine ganz andere Sprache: Zart, doch drängend hebt es an mit einem Saldo von plus 3.572,22 Mark. Daran schließen sich das sofort fällige Festgeld und der daraus resultierende Zinsgewinn an, so daß die Rede rasch zu einem Saldo von plus 18.572,22 Mark und damit zum Kernthema gelangt. Auf Auszahlungen und sonstige Abbuchungen verzichtet dieses Geld fast völlig, nur Festgeldanlagen unterbrechen die gewaltige Predigt, und schnörkellose Mieteinnahmen von plus 2.038,00 Mark hieven den Saldo schon einmal auf Beträge von knapp 20.000 Mark. Das immer wiederkehrende Leitmotiv aber ist die Überweisung von der Landeshauptkasse in Höhe von 4.407,61 Mark. Einem solchen Beamten, der die Bedeutung des Wortes „Dispokredit“ wahrscheinlich nur dunkel ahnt, überlassen wir unser Geld freilich gerne, oder etwa nicht?

Nein, eigentlich auch nicht. Dieser Mann nämlich hebt bar von seinem Konto in zwei Wochen nur 100 Mark ab, und das auch noch in zwei 50-Mark-Happen, drei Wochen später allerdings extravagante 500 Mark, woraus Krimidetektive Bedeutsames schließen mögen. Ich werde nicht schlau daraus, denn ich weiß nicht, in welchem Krimi dieser Kontoauszug seine heiße Fährte legt. Der Mann läßt sich das Geld bei seiner eigenen Bank auszahlen und spart sogar noch die Gebühren. Die wiederum muß die Beamtin zahlen, weil sie sich die 400 Mark, ein knappes Fünftel ihres Einkommens, von fremden Banken auszahlen läßt, wofür sie innerhalb von dreieinhalb Wochen insgesamt 12 Mark Gebühren zahlt. An fremde Geldautomaten muß sie gehen, weil ihre eigene Bank ihr nichts mehr gibt, zugleich aber für Abhebungen bei anderen Banken bis zu 400 Mark garantiert.

Sie kann nicht sparen, er tut es. Bei seinem überfüllten Girokonto hätte er die Sparsamkeit zwar gar nicht nötig, dessen Verfassung jedoch hat seinen Grund höchstwahrscheinlich in dieser. Er hat zuviel Geld auf dem Girokonto, kann sich aber bei Festgeldanlagen immer nur für einen Monat von ihm trennen, er tut nur so, als würde er mit seinem Geld arbeiten, tatsächlich verwaltet er es bloß. Dem Beamtenmann wie der Beamtenfrau gelingt es nicht, den Teufelskreis zu durchbrechen, in dem sie sich befinden: Ihr Konto bleibt heillos überzogen, seines heillos überfüllt.

Somit wären wir nun doch bei der Psychoanalyse gelandet: Das hier zitierte Geld nämlich gibt Aufschluß über seine Besitzer. Es kündet vom manischen Kontoüberziehungen und vom ebenso manischen Kontoüberfüllen. Das mag von Verschwendungssucht hier und Sparsamkeit dort herrühren, läßt aber auch auf Verwirrtheit hier und Lebensangst dort schließen. Die eine kriegt ihr Leben nicht in den Griff, der andere drückt dem seinen mit eiserner Hand die Gurgel zu.

Weder sie noch ihn würde ich gerne kennenlernen wollen. So spricht das Geld. Zeige mir deine Kontoauszüge, und ich sage dir, wer du bist. Iris Hanika