■ Deutschland als Atommacht – ein europäischer Alptraum
: Durchsichtiges Angebot

Die französische Offerte, den Nuklearschirm über Deutschland auszubreiten, variiert ein altes Thema: Welche Rolle spielen die französischen (und britischen) Kernwaffen in der europäischen Sicherheitspolitik? Der Nato-Gipfel von Ottawa 1974 hat erklärt, die Kernwaffen Frankreichs und Englands dienten der Sicherheit des Bündnisses. Die Plattform der Westeuropäischen Union von 1987 hat diese Kernwaffen der Abschreckung und Verteidigung der WEU zugeordnet. Die Entscheidung über die Kernwaffen blieb aber bei Paris und London. Daran hat das französische Angebot nichts geändert, zu Recht.

Der „deutsche Finger am Abzug“ ist ein europäischer Alptraum. Deutschland hat dreimal – im Protokoll zu den Brüsseler Verträgen, im Atomwaffensperrvertrag und im Zwei-plus-Vier-Vertrag – auf Kernwaffen verzichtet. Dieser Verzicht war mit den Arrangements des Nato-Atomschirms vereinbar: Danach wären im Kriegsfall (aber nur dann) amerikanische Sprengköpfe von deutschen Trägerwaffen abgeschossen worden. In Friedenszeiten standen sie unter strikter amerikanischer Kontrolle.

Deutschland ist mit seinem Nichtkernwaffenstatus gut gefahren. Daran sollte sich nichts ändern. Auch die Franzosen begründen ja ihr Angebot damit, daß Deutschland dauerhaft auf Kernwaffen verzichtet hat. Einen „deutschen Finger am Abzug“ wird es also nicht geben; allenfalls eine Art europäische „nukleare Planungsgruppe“ (wie in der Nato) ist denkbar, in der die Nichtkernwaffenstaaten mit den Atommächten über Strategie, Ziele und Rüstungskontrolle reden.

Die französischen Motive sind durchsichtig: ein Befreiungsschlag gegen den nachbarlichen Anti-Atomversuch-Protest. Dennoch ist empörte Ablehnung nicht die richtige Reaktion. Zum einen nicht, weil gute deutsch-französische Beziehungen Rückgrat des europäischen Friedens sind. Zum zweiten, weil in Frankreich gerade zum ersten Male eine Debatte über die Force de frappe in Gang kommt. An dieser Debatte sollte sich Deutschland beteiligen, wozu Gespräche über das „unsittliche Angebot“ genutzt werden könnten. Der deutsche Beitrag zur Debatte sollte der Abrüstungsgedanke sein. Denn die Atommächte müssen realisieren, daß ihre Kernwaffen nur noch eine sinnvolle Rolle spielen: als Verhandlungsmasse bei Abrüstungsgesprächen. Harald Müller

Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung