Lauscher im Gericht -betr.: "Sie wissen nicht was sie taten", taz vom 22.9.1995

Betr.: „Sie wissen nicht, was sie taten“, taz v. 22.9.

Ihr Ansinnen, die Folgen und die Aufarbeitung der Geschehnisse vom 21. März (im und hinter dem Wehrschloß, d. Red.) redaktionell zu begleiten, ist nicht nur Ihre journalistische Pflicht, sondern auch löblich. Gleichwohl ist der Versuch von Kerstin Schneider mißlungen. (...) Da die Verhandlung aus naheliegenden Gründen nicht öffentlich war, hat sie sich inkognito unter die vor dem Gerichtssaal wartenden Zeugen sowie deren Angehörigen gemischt und ihre Lauscher ganz weit aufgestellt. Ich wurde in diesem Artikel siebenmal zitiert, ohne daß ich ein Wort mit Frau Schneider gesprochen oder sie sich als Journalistin zu erkennen gegeben hätte.

Diese Form der Informationsbeschaffung darf nicht dem Niveau der taz entsprechen und unterscheidet sich nur graduell von den Machenschaften der bekannten Konkurrenz mit vier Buchstaben, die einem jugendlichen Zeugen später 150 DM für ein Foto geboten hat. Wenn Frau Schneider einfach nicht den Mumm hat, sich in einer spannungsgeladenen Situation zu ihrem Beruf zu bekennen, ist dies nicht nur bedenklich, sondern schließt sogar den Anspruch auf sachliche Richtigkeit der Berichterstattung von vornherein aus.

Wenn dann obendrein die aufgeschnappten Wortfetzen schlichtweg falsch und verstümmelt wiedergegeben bzw. den falschen Personen zugeordnet werden, dann hat die Autorin versagt. Allein die simple Tatsache, daß sie mich durchgängig als Erzieherin statt als Sozialpädagogin tituliert, ist für den Inhalt zwar unwesentlich, spricht bezüglich der Gründlichkeit der Recherche jedoch Bände.

Beeindruckend ist einzig und allein die Konsequenz der Autorin: Selbst am Ende der von persönlichen Eindrücken geprägten Reportage verbirgt sie ihre Identität hinter dem Kürzel „kes“. Für die Beleuchtung des konkreten Falles und die Aufarbeitung der Folgen ist dieser Text absolut schädlich. „Sie wissen nicht, was sie taten“, hat die Autorin ihren Text überschrieben – sie selbst wußte es offensichtlich auch nicht.

Inge Krevert, Dipl.-Sozialpädagogin im Freizeitheim Wehrschloß

Anm. d. Red.: Auch ein Gerichtsflur ist ein öffentlicher Raum. Daß eine Journalistin sich dort nicht jedem persönlich vorstellen kann, liegt in der Natur der Sache. Die betroffenen Eltern jedenfalls wußten, wer sich mit ihnen unterhielt und daß mehrere Journalisten da waren. Daß der Sozialarbeiterin die Art und Weise, in der sie in der Reportage vorkommt, mißfällt, mag sein. Konkret nachvollziehbar ist nur der Vorwurf, daß sie fälschlich als „Erzieherin“ bezeichnet wurde. Dies bedauern wir. taz-Red.