Acht Zeilen für 1.600 Entlassungen

■ Streik nach Massenkündigungen bei Mercedes do Brasil

Berlin (taz) – Die Beschäftigten bei Mercedes-Benz in Sao Bernardo/Brasilien befinden sich seit Montag im Streik. Sie protestieren damit gegen die Ankündigung der Mercedes-Geschäftsleitung, in den Werken Sao Bernardo und Campinas insgesamt 1.600 Arbeiter und Angestellte zu entlassen. Das sind rund zehn Prozent der Belegschaft. Wenige Tage nach der Entscheidung des Stuttgarter Daimler- Konzerns, für 400 Millionen US- Dollar ein Pkw-Werk in Brasilien zu errichten, wurde der Metallgewerkschaft in einem lapidaren Achtzeilenschreiben mitgeteilt, zur „Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Unternehmens und auf den internationalen Märkten“ sei der Konzern zu „Strukturanpassungsmaßnahmen“ gezwungen. „Am schlimmsten ist, daß es für die Arbeitslosen keine Ersatzangebote gibt“, teilt der Betriebsrat von Mercedes- Benz/Brasilien in einem Hilferuf an deutsche Daimler-Betriebsräte mit.

In Brasilien gibt es weder einen effektiven Kündigungsschutz noch eine Arbeitslosenversicherung. Deshalb ist der Konzern auch – anders als in Deutschland – nicht gezwungen, mit der Gewerkschaft oder der betrieblichen Arbeitnehmervertretung über einen Interessenausgleich zu verhandeln. Die Ankündigung von Mercedes fügt sich in eine beschleunigte Rationalisierungswelle der brasilianischen Industrie ein. Nach Untersuchungen des Statistischen Amts Sao Paulos hat die Industrie im Großraum Sao Paulo allein im August dieses Jahres rund 93.000 Arbeiter entlassen. Die Zahl der Arbeitslosen in diesem Ballungsraum liegt bei rund vier Millionen.

Die Belegschaftsvertretung von Mercedes do Brasil geht davon aus, daß die Massenentlassungen auf direkte Anweisungen der Stuttgarter Konzernzentrale zurückzuführen sind. Unmittelbar nach dem Besuch eines hochrangigen Daimler-Managers in Brasilien wurden zuvor laufende Verhandlungen über einen Interessenausgleich abgebrochen. Gleichzeitig wird versucht, die Streikenden unter Druck zu setzen: Die Massenentlassungen seien notwendig, um die Entscheidung für den Bau des Pkw-Werks aufrechtzuerhalten. Martin Kempe